Wahre Gelehrte und soziale Verantwortung

Was erwartet man von echten Gelehrten? Welche Funktionen hatten Gelehrte in der Geschichte in Bezug auf das gesellschaftliche Leben? Und welche Verantwortung tragen sie in der heutigen Gesellschaft?

Von Hikmet Işık

Zunächst einmal sei festzuhalten, dass man bei einem Universalgelehrten, einem, der alles weiß, natürlich zuallererst an Gott denkt. Drei seiner Namen bezeichnen Ihn als den Allwissenden: ʿĀlim, ʿAlīm und ʿAllām. Die beiden letzten Namen bedeuten, dass Er Wissen im Überfluss besitzt, in einem Ausmaß, das unseren Horizont übersteigt. Außerdem wird Gott als ʿĀlimu’l-Ghuyūb, als Kenner des Verborgenen bezeichnet. Er besitzt also unermessliches Wissen, nicht nur über den wahrnehmbaren Bereich, sondern auch über alles, was jenseits unserer Sinneswahrnehmung liegt. Von den Atomen im Kosmos bis hin zu den Leukozyten in unserem Blut – Er kennt, lenkt und leitet alles. Der Koran sagt dazu: 

 Wir sind ihm näher als seine Halsschlagader.“

Sure Qāf, 50:16

Absolute und relative Erkenntnis

Aufgrund dessen kommt uns Gott in den Sinn, wenn wir vom Wissenden im wahrsten Sinne des Wortes sprechen. Er ist der absolut Wissende. Menschen, deren Wissen zutrifft und die in Kontakt mit dem Besitzer wahrer Erkenntnis stehen, sind die Propheten. Auch sie gelten nicht als absolut Wissende. Und die Gelehrtesten unter ihnen sind insbesondere die ehrwürdigen Propheten Noah, Abraham, Moses, Jesus und Muhammed – Friede sei mit ihnen –, die Gesandten mit der größten Standhaftigkeit (ūlū’l-ʿazm). Folgender Vers weist auf sie hin: 

 Und (gedenkt) als Wir von den Propheten ihr Gelübde entgegennahmen, geradeso wie von dir (o Muhammed) und von Noah, Abraham, Moses und Jesus, dem Sohn der Maria. Wir nahmen ein festes Gelübde von ihnen entgegen.“

El-Aḥzāb, 33:7 

Gemäß diesem Vers hat Gott mit den dort namentlich genannten Propheten eine Art Vereinbarung getroffen, Er hat ihr Gelübde entgegengenommen. Gott der Erhabene deutet an, dass Er sich ihnen besonders zugewandt und ihnen besondere Nähe gezeigt hat, was sie ehrt und erhöht. Sie sind also in den Augen Gottes besondere Geschöpfe, und das sollten wir nicht vergessen. Wir sollten ihnen Anerkennung und Respekt zollen.

Noch einmal: Auf relativem Niveau sind alle Propheten und Gesandten Gottes, hier vor allem diejenigen mit der größten Standhaftigkeit, die „Gelehrten“ und „Wissenden“, denn ihnen wurde die Erkenntnis Gottes zuteil. Sie speisen sich aus der Offenbarung und sie besitzen erhabene Fähigkeiten, um das Wissen aus dieser Quelle auszuwerten und die Bedeutung der darin enthaltenen Hinweise zu verstehen. Daher sind sie in der Lage, die Offenbarungen Gottes des Erhabenen richtig zu verstehen und entsprechend zu handeln. Hätten die ehrwürdigen Propheten, die relative Erkenntnis besitzen, die offenbarten Schriften aus der Quelle wahren Wissens nicht wahrheitsgetreu gedeutet, wäre es uns nicht möglich, das darin enthaltene Wissen vollständig und korrekt zu verstehen. Hätte unser Herr, der Prophet – Friede sei mit ihm –, den Koran nicht einer Interpretation und Exegese unterzogen, würden wir ihn an den meisten Stellen falsch verstehen und nicht richtig ausleben.

An dieser Stelle sollte erwähnt werden, dass einige von einem „koranischen Muslimsein“ sprechen; sie nehmen die Sunna nicht für ernst und weisen sie sogar von sich. Sie ignorieren beim Verstehen des Korans die Interpretation und die Exegese des Propheten, was zeigt, wie weit sie sich von der Wahrheit entfernt haben und wie unwissend sie bezüglich des Geistes der Religion sind.

Auch wenn wahre Erkenntnis auf Gott basiert und in relativer Hinsicht auf den Propheten aufbaut, beziehen wir die Ausdrücke „Wissender“ oder „Gelehrter“ auch – wieder in relativem Sinn – auf Persönlichkeiten in der Wissenschaft. Auch der Koran verweist auf Personen, die in den Wissenschaften tiefe Erkenntnisse erworben haben, und sagt: 

 Niemand kennt ihre Deutung außer Gott. Und jene, die ein tief begründetes Wissen haben, sagen: ‚Wir glauben wahrlich daran; alles ist von unserem Herrn.‘“

Āl ʿImrān, 3:7

Es gibt unterschiedliche Ansichten darüber, ob in diesem Vers nach dem Wort „Gott“ ein Punkt steht oder nicht. Die obige Übersetzung wurde so angefertigt, als ob dort ein Punkt steht. So bedeutet der Vers, dass Gläubige, die tiefes Wissen besitzen, sich davor hüten, bei Versen, deren Deutung nur Gott kennt, zu sehr ins Detail zu gehen; sie überlassen es Gott, sie zu deuten. Hält man an der besagten Stelle nicht inne, würde sich folgende Bedeutung ergeben: „Ihre Deutung kennt nur Gott und in relativem Sinne jene, die ein tief begründetes Wissen haben.“

Gelehrtentradition

Sowohl das Zeitalter der Glückseligkeit als auch nachfolgende Epochen brachten große Gelehrte hervor, die entsprechend ihrer Fähigkeiten und Veranlagungen auf einem oder mehreren Gebieten Großes leisteten. Beispielsweise fällt es uns schwer, die Erkenntnistiefe eines Ebū Bekr auch nur zu erahnen. Da er gleichzeitig zutiefst demütig und bescheiden war, war er sich dessen vielleicht nicht einmal selbst bewusst. Daher befragte er unseren Herrn, den Propheten – Friede sei mit ihm –, wenn es um detailliertere Angelegenheiten ging. Beispielsweise fragte er, ob die Länge seines Gewandes ein Zeichen von Hochmut sei. Er war wirklich in dem Maße demütig, in dem er Wissen besaß; er war ein Mensch der Demut und der Bescheidenheit. Er war sich bewusst, dass der geheimnisvolle Schlüssel alles Guten die Demut ist und der übelartige Schlüssel aller Bosheit der Hochmut.

Der ehrwürdige Ebū Bekr war gleichzeitig auch ein gerechter und sehr erfolgreicher Staatsmann. Ich möchte in diesem Zusammenhang auf etwas hinweisen, was ich zuvor schon einmal erwähnt hatte: Es fällt sehr schwer, auf einen Staatsführer in der Geschichte zu verweisen, der ähnlich erfolgreich war wie er. Er hatte in einer Zeit die Staatsgeschäfte inne, in der es nur so von Problemen wimmelte. Er schaffte es jedoch mit der Hilfe Gottes innerhalb von etwas mehr als zwei Jahren alle Schwierigkeiten zu überwinden. Aber auch in der Gottesanbetung ging er führend voran; mehr noch: Es war Gottesdienerschaft. Er wurde sozusagen zum personifizierten Gebet, zum personifizierten Fasten, zur personifizierten Wallfahrt; er wurde förmlich eins mit dem Propheten, dem er nicht nur äußerlich glich, sondern dem er auch in seinem Glaubensleben nacheiferte.

Auch die anderen Kalifen – die ehrwürdigen Umar, Uthman und Ali (möge Gott Gefallen an ihnen finden) – waren nicht nur erfolgreiche Staatsmänner, sondern auch Menschen mit tiefer Erkenntnis. Jeder hatte seine persönlichen Stärken: Der ehrwürdige Ali beispielsweise repräsentierte die Gottesfreundschaft des Propheten, was seine Kenntnis des Verborgenen betrifft. Nicht nur unter den vier Kalifen, auch unter den Gefährten befanden sich eine ganze Reihe von Personen, die für ihr Wissen bekannt waren, u. a. ʿAbdullah ibn Mesʿud, ʿAbdullah ibn ʿAbbas und Muʿāz ibn Djebel. Zu ihnen gehörte auch Ebū Hurayra, einer der größten Überlieferer. Oder die ehrwürdige Āische, die zu ihrer Zeit auf vielen Wissenschaftsgebieten Wortführerin war; es gab im Prinzip nichts, worüber sie nichts wusste. Es ist kein Zufall, dass unser Herr, der Prophet – Friede sei mit ihm –, sie in jungen Jahren als Ehefrau wählte, sie in sein Haus der Glückseligkeit führte und seiner Umma durch sie eine Vielzahl an religiösen Themen, die die Welt der Frauen betreffen, übermitteln ließ. Diese Ehe mit körperlicher Lust in Verbindung zu bringen wäre unlogisch, widersinnig und unvernünftig. Der Prophet hatte in seiner Weisheit schnell begriffen, dass sie in Zukunft große Aufgaben wahrnehmen wird, und nahm sie deshalb in sein Haus auf. Nach dem Ableben des Propheten wandte man sich in verschiedensten Erkenntnisfragen immer wieder an die ehrwürdige Āische. Auch die großen Imame der zweiten Generation (tābiʿūn) kamen zu ihr und befragten sie hinter dem Vorhang.

Allerdings blieben die Gelehrten der damaligen Zeit eher anonym. Keiner behauptete von sich, Gelehrter zu sein, und niemand gab ihnen überschwängliche Titel wie „ʿAllāme“ (Wissender). Zudem gab es noch keine Einrichtungen wie Universitäten, um Gelehrte auszubilden. Dennoch gab es sowohl zu Zeiten der Gefährten als auch während der zweiten Generation eine ganze Reihe Gelehrter.

Sowohl die noch anonymen Vorläufer als auch die allgemein bekannten Gelehrten späterer Epochen nehmen in der islamischen Welt einen wichtigen Platz ein. Besonders die Gelehrten der ersten fünf Jahrhunderte haben große Verdienste erworben, was die Erläuterung religiöser Gebote als auch die Entdeckung der Naturgesetze betrifft. Sie haben wichtige Werke verfasst, man denke nur an die Korankommentare, die Sammlung der Hadithe und die Ableitung rechtswissenschaftlicher Urteile daraus; sie haben die Methodik dieser Wissenschaften begründet und so den nachfolgenden Generationen ein großes wissenschaftliches Erbe hinterlassen. Doch damit haben sie es nicht bewenden lassen. Mit der Dynamik, die sie aus dem Studium des Korans und der Sunna gezogen haben, haben sie sich im Rahmen ihrer Ergebenheit gegenüber den religiösen Quellen auch eingehend mit den Naturwissenschaften beschäftigt. Mit Leidenschaft haben sie sich der Forschung und der Suche nach Wahrheit hingegeben, haben aus ihren Studien der Dinge und der Ereignisse naturwissenschaftliche Prinzipien abgeleitet, die gewissermaßen den Weg der Renaissance im Westen geebnet haben; sie haben Brücken für die gebaut, die auf diesen Wegen gehen würden. Herausragende Wissenschaftler wie Avicenna (Ibn Sina), al-Chwarizmi, Djabir ibn Ḥayyān, Ebu Bekr er-Rāzī und Abulcasis (az-Zahrāwī) haben mit ihren Werken über Jahrhunderte das Denken im Abendland beeinflusst. Dies tritt immer mehr zutage. Werke über sie werden verfasst, Museen entstehen.

Trennung von Schule, Medrese und Tekye

Auch wenn die Gelehrtentradition des Islams heute noch fortgeführt wird und zum Teil auch ihre Bedeutung noch bewahrt hat, ist es doch eine Tatsache, dass sie nicht mehr so umfassend ist wie in den ersten fünf Jahrhunderten des Islams. So wie am Ende eines Tages das Licht der Dunkelheit weicht und die Finsternis die Herrschaft übernimmt, so verloren auch wissenschaftliche Arbeiten Tag für Tag an Lebendigkeit und wurden weniger. Die Dynamik, die in den ersten fünf Jahrhunderten zu beobachten war, ließ in den folgenden Epochen immer mehr nach.

Die Medresen betrachteten die Naturwissenschaften als unnütz und ließen sie außen vor. Dass sie sich zudem noch vom spirituellen und inneren Leben des Islams entfernt hatten, ließ die Sache für uns zu einer Katastrophe werden. Eigentlich sind diejenigen, die das „Muslimsein“ im Hinblick auf seine materiellen und spirituellen sowie diesseitigen und jenseitigen Aspekte hin in Wahrheit repräsentieren, in der Lage, den Islam auf dem Niveau des Herzens und der Seele auszuleben. Leider waren die Medresen zu Orten verkommen, in denen nur Linguistik gelehrt wird, Morphologie, Syntax, Semantik, Rhetorik, Ästhetik und noch ein wenig islamische Rechts-, Koran- und Hadithwissenschaften. Die Aufgabe der Gelehrten beschränkte sich auf Vorlesungen und das Halten von Predigten. Das geistige Leben des Islams wurde in die Klöster und Konvente (Tekye und Zawiye) verbannt und die Gesetze der Religion von den Naturgesetzen getrennt.

Medrese, Schule und Tekye – drei Angesichter einer einzigen Wahrheit – wurden voneinander getrennt, ihre Einheit und Einigkeit zerstört. Diese Trennung und dieser Bruch führten schließlich dazu, dass man auch von Gottes Hilfe und Seiner Unterstützung getrennt wurde. So wie Einigkeit und Einheit unter den Menschen die beste Einladung für göttlichen Beistand ist, so kann die Trennung des spirituellen Lebens des Islams von den Natur- und den Religionswissenschaften und ihr Verfolgen von getrennten Wegen dazu führen, dass sie die Unterstützung des erhabenen Gottes verlieren.

Die Schussfolgerung: Da es heute keinen Menschen mehr gibt, der alle drei Angesichter der Wahrheit gleichzeitig repräsentiert, kann man auch kaum davon ausgehen, dass es noch echte Wissenschaftler gibt. Einige Personen, die wir als Gelehrte betrachten, kennen sich nur in den Naturwissenschaften aus und neigen daher dem Naturalismus zu; andere sind nur mit den Wissenschaften der Medrese beschäftigt; andere versuchen das spirituelle Leben des Islams in Klöstern und Orden zu repräsentieren. Jeder weiß etwas, aber niemand weiß alles. Daher rührt auch unsere heutige Sehnsucht nach wahrer Gelehrsamkeit. Also sollten wir uns bemühen, alle Elemente erneut zu koordinieren. Alle drei Bereiche sollten wieder zueinanderfinden, einen kollektiven Verstand bilden und – so Gott will – zu einer zweiten Renaissance der Muslime führen. 

Wahre Meinungsführer

Betrachtet man die Geschichte des Islams, sieht man, dass die Gelehrten innerhalb der Gesellschaft eine wichtige Führungsrolle innehatten. Beispielsweise haben die vier rechtgeleiteten Kalifen – selbst Gelehrte und fähig, aufgrund ihres Wissenshorizonts viele Probleme zu lösen – führende Gelehrte der Gefährten um sich geschart und sich mit ihnen beraten. Die Gefährten haben sich nicht gescheut, Fachleute zu befragen, wenn sie einmal mit einer Angelegenheit konfrontiert wurden, die ihren Wissens- und Erfahrungsschatz überstieg. Gleichzeitig fühlten sie sich frei, die Machthaber auf Fehler und Missstände hinzuweisen und sie zu bereinigen.

In den darauffolgenden Epochen hatten die Machthaber immer noch gewissen Nutzen von den Gelehrten und ihrer Rechtleitung für die Gesellschaft. Beispielsweise gründete der seldschukische Wezir Nizām ul-Mulk die Nizamiye-Medrese und berief Imam el-Haramayn al-Djuwaynī an ihre Spitze. Nach ihm übernahm Imam al-Ghazālī, dessen Schüler, diese Stellung. Sie wurden ihrer Stellung an der Nizamiye-Medrese gerecht und haben sich, weil sie quasi wissenschaftliche Schwergewichte waren, bei allen Gehör verschafft. Imam al-Ghazālī hat zwar später seine Stellung als Dekan aufgegeben, weil er glaubte, dem Islam als Religion, die das Wahre und die Wahrheit erklärt (dīn-i mubīn-i Islām), anderweitig besser dienen zu können – mit seinen Anschauungen und Ideen hat er den Machthabern und der Gesellschaft jedoch weiterhin den Weg gewiesen.

Zu Beginn des Osmanisches Reiches hatten die Gelehrten in der Gesellschaft und bei den Machthabern eine gewichtige Stellung inne. Beispielsweise profitierte der ehrwürdige Osman Gazi als wichtiger Meinungsführer von Scheich Edebalī (Ata-balı) (gest. 1326) und heiratete dessen Tochter. Die Ratschläge des Scheichs sind auch für Machthaber von heute noch richtungweisend. Auch der hochselige Sultan Murad ii. fragte immer wieder den ehrwürdigen Hadji Bayram Weli (gest. 1430) um Rat. Und um Mehmed ii. , den Eroberer, versammelten sich stets Gelehrte wie Molla Husrew (gest. 1480) oder Akschemseddin (gest. 1459). Süleyman I. , der Gesetzgebende, ließ trotz seiner Herrlichkeit bezüglich seiner Vorhaben von Ebū’s-Suʿūd Efendi (gest. 1574) zunächst ein Rechtsgutachten anfertigen. Und Sultan Selim I. , der Gestrenge – Barmherzigkeit und Vergebung mögen ihm zuteilwerden –, suchte Zeit seines Lebens den Rat von Zenbilli Ali Efendi (gest. 1526).

Auch heute gibt es Persönlichkeiten, die als Gelehrte oder Meinungsführer betrachtet werden. Ihrer Stellung entsprechend leisten sie zweifellos wichtige Dienste. Was sie tun, ist nicht umsonst. Allerdings muss auch konstatiert werden, dass es keine Gemeinschaft von Gelehrten gibt, die imstande wäre, die gewaltige Kluft zu überwinden, der man sich heute gegenübersieht. Die Menschen von heute sind leider in einer ernstzunehmenden Leere gefangen. Dieser Brunnen ist tiefer als der Brunnen, in dem sich seinerzeit der ehrwürdige Josef befand. Um aus diesem Loch wieder herauszukommen, bedarf es wachen Geistes und Einsicht. Der heutigen Gesellschaft mangelt es jedoch an Meinungsführern, die derart weise sind und Ideen haben.

Die Menschen fühlen sich im Allgemeinen von großen Persönlichkeiten angezogen und schauen zu ihnen auf. Mit diesem Vertrauensvorschuss ließe sich etwas bewegen. Wichtig ist, dass es Gelehrte gibt, die die Gefühle und Gedanken der Menschen erfüllen, die Gesellschaft in die richtige Richtung lenken und verhindern, dass die Menschen falsche Dinge tun. Schafft es eine Gesellschaft, solche Gelehrten und Meinungsführer hervorzubringen, ist sie vor vielen Fehlern geschützt und verfolgt einen guten Weg. Solche Gelehrten leiten nicht nur die Bevölkerung an, sondern sie gewinnen auch das Vertrauen der Machthaber und haben Einfluss auf sie. Diesen Einfluss und das Vertrauen nutzen sie zum Vorteil der Menschen; sie halten die Gesellschaft von Populismus fern und bewahren die Machthaber davor, sich wie Tyrannen aufzuführen. 

Kein Mensch kann allein etwas bewirken. Unser Herr, der Prophet – Friede sei mit ihm –, hat uns in dieser Hinsicht eine wichtige Lektion gegeben, indem er die ehrwürdigen Ebū Bekr und Umar als seine Wesire, Helfer, bezeichnete (siehe Tirmiḏī, Menāqib 17; Ḥakīm, Mustedrak 2/290). In einem anderen Hadith betont der Gesandte Gottes – Friede sie mit ihm – diese Tatsache wie folgt: „Wenn Gott der Erhabene einem Staatsoberhaupt wohlgesinnt ist, dann gibt er ihm einen Helfer, der ihn an Vergessenes erinnert und ihm hilft, das zu tun, woran er sich erinnert. Ist Gott der Erhabene einem Staatsoberhaupt nicht wohlgesinnt, dann gibt er ihm einen schlechten Helfer, der ihn an Vergessenes nicht erinnert und ihm nicht hilft, das zu tun, woran er sich erinnert“ (Ebū Dāwūd, Imāre 4).

Wenn sich daher ein Machthaber für ausreichend befähigt hält, ist das ein Zeichen dafür, dass er es nicht ist. Zweifellos wird so jemand früher oder später Schiffbruch erleiden. Leider haben in jüngster Vergangenheit viele Diktatoren gemeint, sie könnten es allein, und haben sowohl sich selbst als auch ihre Untertanen in den Ruin getrieben. Der Ausweg besteht darin, Menschen wie Imam al-Ghazālī, Zenbilli, Akschemseddin, Ebū’s-Suʿūd Efendi oder Scheich Welīyyullāh Dihlewī (gest. 1762) um sich zu versammeln, ihre Ansichten und Meinungen zu erfragen, um so den Weg, der beschritten werden soll, zu sichern. Zudem sollten die Gelehrten und Meinungsführer selbst in ihrer Lebensführung vertrauenswürdige Personen sein, sollten sich keiner politischen Strömung hingeben, ihre Ideen nicht politischen Anschauungen opfern und den Vertrauensvorschuss, der ihnen gewährt wurde, ausschließlich dazu verwenden, die Machthaber richtig anzuleiten.

Leider muss man heutzutage auf beiden Seiten schwerwiegende Mängel feststellen. Die Leere, in die wir gestürzt sind, ist ausnehmend tief. Leere ist auch das, was sowohl die Machthaber als auch diejenigen, die ihnen als Berater zur Seite stehen, auszeichnet. Das Schlimme ist nur: Sie sind sich dessen nicht bewusst. Trifft Leere auf Leere, wird die Lösung der Probleme zu einer Gleichung mit zwei Unbekannten. Trotz allem wurden bis zum heutigen Tag viele herausragende Gelehrte und Machthaber hervorgebracht, die dem Islam wichtige Dienste erwiesen haben. Sie sind eine untrügliche Referenz: Güte und Schönheit sind nicht nur Vergangenheit, sondern auch unsere Zukunft!  

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