Rebell im luftleeren Raum

Von Frank Giesenberg

Der Schriftsteller Friedrich Dürrenmatt, 1921 im schweizerischen Emmental in eine Pfarrersfamilie geboren, war ein literarisches Schwergewicht der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, die vom kalten Krieg der Großmächte USA und Sowjetunion und ökonomischer Globalisierung geprägt war. Dürrenmatt hat mit seinen Parabeln, in denen er die Wirklichkeit grotesk verzerrte und paradox zuspitzte, immer wieder auf die gesellschaftlichen und politischen Verwerfungen seiner Zeit reagiert und sie zugleich philosophisch grundiert. Seine frühen Kriminalromane und Theaterstücke erlangten Weltruhm, Der Besuch der alten Dame und Das Versprechen schafften es bis nach Hollywood.

Aller Anfang ist schwer, und so mancher Jungschriftsteller erreicht das Ende nicht. Dürrenmatt dagegen schaffte es binnen eines Jahrzehnts, sich aus prekären Verhältnissen an die Spitze des deutschsprachigen Literaturbetriebs zu katapultieren, zunächst mit seinen kurzen, existenzialistisch motivierten Krimis „Der Verdacht“, „Der Richter und sein Henker“ und „Das Versprechen“, die er selbst als „Requiem auf den Kriminalroman“, also als eine Art Abgesang auf die Tradition, betrachtete. Nach einigen Widerständen reüssierte er dann auch mit seinen grotesken Theaterstücken und Hörspielen (hier sei vor allem „Die Panne“ genannt, das den renommierten Preis der Kriegsblinden erhielt), von denen die wichtigsten kurz vorgestellt seien.

Die schlimmstmögliche Wendung

Bereits Ende der 40er-Jahre hatte Dürrenmatt erste Stücke auf die Bühne gebracht, von denen aber nur Romulus der Große (1949) auf Beifall stieß. Es handelt mit viel dichterischer Freiheit vom letzten Kaiser Roms (historisch betrachtet war er ein „kleiner“), der sich dem Ansturm der Germanen ausgesetzt sieht. Während sein Hofstaat panisch die Flucht ergreift, um den Widerstand zu organisieren, und dabei ums Leben kommt, hat Romulus nur Augen für seine Hühner und ihre Eierproduktion. (Sein Lieblingshuhn heißt übrigens nach dem germanischen Heerführer Odoaker und schafft zuletzt drei am Tag.) Er beabsichtigt durch sein Nichtstun den Untergang Roms herbeizuführen, das er als Unrechtsstaat betrachtet – eine Kritik am Nationalismus und Militarismus der Nachkriegszeit.

Dürrenmatt aber wäre nicht Dürrenmatt, wenn er es dabei beließe. Der germanische Feldherr Odoaker erweist sich beim abschließenden Tête-à-Tête als machtpolitisch ebenso desinteressiert wie Romulus selbst. Er möchte sich Romulus unterwerfen, da er fürchtet, sein Neffe Theoderich werde ein germanisches Weltreich errichten, das ebenso blutig ist wie das römische. Romulus dagegen erwartet von Odoaker seine Hinrichtung, um Rom zu überwinden. Schließlich einigt man sich auf die Auflösung des Reiches, aber Odoaker wird König über Italien und Romulus erhält eine Pension. Fazit: Das Heldentum der Germanen lässt pazifistische Ideale nicht zu, gute Absichten helfen nicht weiter.

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