Relativität der Zeit

„Bewegte Uhren gehen langsamer.“ So lautet vereinfacht formuliert eine der Kernaussagen von Albert Einsteins Spezieller Relativitätstheorie, welche er 1905 veröffentlichte. Diese Aussage sollte unsere Vorstellung von der Zeit für immer verändern. Denn plötzlich war sie nicht mehr die unveränderliche, allgemeingültige und absolute Konstante, sondern vielmehr einrelatives Phänomen.

Doch was bedeutet nun diese Aussage eigentlich? Beispielhaft lässt sich folgendes sagen: Während eine Sekunde auf einem sich bewegendenRaumschiff vergeht, misst ein außenstehender ruhenderBeobachter eine längere Zeit, z.B. 1,5 Sekunden. Dass diese Zeitdehnung (= Zeitdilatation) tatsächlich stattfindet, wurde erst 1971 experimentell nachgewiesen. Dazu wurden mehrere hochpräzise Atomuhren an Bord eines Linienflugzeugs gebracht, das einmal west- und einmal ostwärts um die Erde flog. Beide Male stellte man fest, dass die Borduhren im Ergebnis langsamer gelaufen waren als eine zum Vergleich dienende Bodenuhr. Aufgrund der geringen Höchstgeschwindigkeit eines Flugzeugs ist der Unterschied jedoch nur im Nanosekundenbereich messbar. Seitdem wurde (bis zuletzt 2010) dieses Experiment mit höheren Genauigkeitsgraden wiederholt und man kam zum gleichen Ergebnis.

Um nun zu verstehen, warum so etwas passiert, machen wir ein Gedankenexperiment. Stellt euch vor, wir hätten zwei zueinander parallel liegende Spiegel mit einem Abstand von 150.000 km. Wir senden nun vom oberen Spiegel zum unteren einen kurzen Lichtstrahl, den wir uns als Punkt vorstellen – und zur Vereinfachung gehen wir von einer Lichtgeschwindigkeit von genau 300.000 km/s aus. Dieser Punkt braucht nun exakt eine Sekunde bis zum unteren Spiegel und wieder zurück.

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Von dieser Lichtuhr haben wir zwei: Eine kommt in das frei im Weltraum schwebende Raumschiff I (RS I), während wir die zweite Uhr in das Raumschiff II (RS II) platzieren, welches mit konstanter Geschwindigkeit an RS I vorbeifliegt. Wir selbst befinden uns in RS I. Wenn wir dabei unsere Lichtuhr beobachten, sehen wir, wie das Licht jede Sekunde auf den oberen Spiegel trifft – nichts Aufregendes also. Nun schauen wir auf die Lichtuhr in RS II. Diese funktioniert genauso wie unsere, also müssten wir doch genau das gleiche beobachten? Genau das tun wir nicht, denn aus RS I betrachtet muss das Licht jetzt nicht nur die Distanz zwischen den beiden Spiegeln zurücklegen, sondern sich in Fahrtrichtung des RS II fortbewegen. Das klingt jetzt verwirrend, aber folgende Animation zeigt genau, was ich meine:

http://www.einstein-online.info/images/vertiefung/LichtuhrZeitdilatationI/lichtuhr_both.gif

Both Gifs: © 2017, Max Planck Institute for Gravitational Physics

Das Licht scheint jetzt eine Zickzacklinie zu machen, wenn wir aus RS I die Lichtuhr in RS II betrachten. Das heißt, je schneller RS II ist, desto größer werden Ein- und Ausfallswinkel des Lichts an beiden Spiegeln. Die zwei Diagonalen, die dadurch entstehen, sind länger als die beiden Senkrechten zwischen dem oberen und dem unteren Spiegel:

GIF 3
GIF 4

Durch Einstein wissen wir, dass Licht eine konstante Geschwindigkeit hat. Also kann das Licht den längeren diagonalen Weg nicht plötzlich schneller zurücklegen. Wenn in der Formel =/die Variablen  und feststehen, bleibt nur noch tübrig – die Zeit.

Damit steht auch schon das Ergebnis: Während das Licht unserer Lichtuhr in einer Sekunde den oberen Spiegel wieder erreicht hat (also eine Sekunde vergangen ist), sehen wir, wie das Licht in der zweiten Lichtuhr aufgrund des längeren Wegs noch unterwegs zum oberen Spiegel ist (also eine Sekunde noch nicht vergangen ist).

Was aber hat das mit „Relativität der Zeit“ zu tun? Dieses Gedankenexperiment beschränkt sich in erster Linie auf eine Perspektive, und zwar auf die des ruhenden Beobachters in RS I. Das heißt, die Uhr in RS II geht nur aus meiner Sicht langsamer, nicht aber für die, die sich in RS II befinden! Eben haben wir ja festgestellt, dass das Licht in meiner Lichtuhr eine senkrechte Strecke zurücklegt. Dies ist eine Besonderheit, die für alle Objekte gilt, auf die keine Kräfte einwirken. RS II beschleunigt nicht und wird auch von keinem Schwerefeld angezogen. Das heißt, ein Beobachter in RS II ist ebenso berechtigt zu behaupten, nicht er, sondern RS I bewege sich und er sei der Ruhende. Folglich geht aus seiner Sicht seine Lichtuhr ganz normal den senkrechten Weg.

Das alles klingt zwar, aber so sieht die Realität aus. Es gibt keinen absoluten oder zentralen Ort, an dem man alle Geschwindigkeiten, Räume und Zeiten messen könnte.. Der Mensch hingegen, so klein, unbedeutend und kurzlebig, weiß sich stets in den Mittelpunkt zu stellen und zu denken, er sei das Maß aller Dinge. Nicht einmal das Universum, so unvorstellbar groß, rätselhaft und unbegreiflich wie es ist, besitzt ein solches Maß.Ich schätze, daran können wir uns ein Beispiel nehmen.

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