In einem anderen Licht
Glauben wir, dass es einen anderen „Zustand“ gibt, den wir erleben können? Oder machen uns die Mystiker mit ihrem Versprechen von etwas Wunderbarem etwas vor? Ich denke, wir sollten versuchen, es herauszufinden.
Mein Anliegen ist nicht die Rechtfertigung oder Ablehnung der Religion oder eine Debatte über das Thema Glaube versus Vernunft. Wir wollen den Glauben zu einer Sache der Vernunft machen, denn wenn die Mystiker richtigliegen, ist die Vernunft nicht nur eine Sache des Denkens. Wir beschäftigen uns mit dem Anspruch des Mystikers, der die Stimmung negieren würde, die der Feind der Objektivität sein kann. Wir müssen wenigstens versuchen, den „anderen“ Zustand zu erreichen, von dem die Mystiker erzählt haben, einen von Stimmung oder Gefühl oder Emotionen unabhängigen Zustand, in dem man „leidenschaftslos“, aber nicht kalt sieht. Denn wir stimmen mit Jung überein, der uns berichtet, dass Kälte auch eine Leidenschaft ist. Wir wollen die Dinge mit Objektivität sehen, ohne Einfärbung durch uns selbst. Wir mögen den mystischen Zustand als etwas betrachten, was ohne Zusammenhang mit Logik oder Empirie ist, und dennoch als eine Wirklichkeit oder vielleicht als den Weg, die Wirklichkeit wahrzunehmen. Wenn wir den Mystikern und ihrer Behauptung zustimmen, sind wir gehalten, sie nicht zu ignorieren, und daher verpflichtet, sie zu untersuchen, vielleicht aus dem gleichen Grund, aus dem der Everest bestiegen wurde: einfach, weil es ihn gibt.
Unser Ziel ist nicht die Anwendung einer vermeintlichen Objektivität, unser Ziel ist vielmehr, erst einmal objektiv zu „sein“. Unsere Untersuchung sollte empirisch durchgeführt werden. Es kann sein, dass Vernunft aus dem empirischen Unterfangen hervorgeht. Ein Philosoph muss vielleicht zuerst in der richtigen Verfassung sein, um philosophieren zu können. Könnte das der Grund sein zu sein? Wenn Faust bei Goethe sagt: „Und ziehe schon an die zehen Jahr / herauf, herab und quer und krumm / Meine Schüler an der Nase herum“ – könnte es sein, dass sowohl Lehrer als auch Schüler keine Hoffnung haben, zu einer überprüfbaren Antwort zu kommen? Vielleicht sind wir in Sorge, dass wir das Mystische entmystifizieren, wobei wir hoffen, die Mystiker nicht zu reizen. Auf der anderen Seite, wie könnte es?
Wir betrachten die Unendlichkeit.
Aber wir können Unendlichkeit nicht definieren. Wir können das Wort nur bildlich benutzen. Unendlichkeit ist der Stoff des Hypothetischen, ein Wort und wenig mehr. Es wurde vor allem für den Gebrauch von Dichtern, Träumern, Denkern und Wissenschaftlern (ganz zu schweigen von Mathematikern) erfunden, in der Tat für alle, die mit einem vermeintlichen Sinn des Lebens kämpfen. Aber auf Unendlichkeit kann nicht in dem anerkannten Sinn gezeigt werden. Sie kann voller Bedeutung als Wort sein, aber sie bleibt schwer zu fassen. Wir haben also etwas einen Namen gegeben, was vielleicht nicht existiert, oder bestenfalls etwas, worüber wir nie etwas wissen können. Wenn Gott unendlich ist, so bleibt uns nichts weiter als ein Begriff, eine Idee, von der behauptet worden ist, dass sie nur von einigen wenigen, die unsere weltliche Existenz teilen, zu einer Tatsache gemacht wurde. Es bedeutet natürlich, dass Gott in der Tat nicht erkennbar ist.
Wir betrachten die Zeit.
Die Zeit ist einfacher zu definieren, vor allem, weil wir sie erfunden haben, und zwar durch unsere Fähigkeit, Veränderungen zu erkennen. Dementsprechend haben wir die Zeit in Tage aufgespalten, und die Erfindung der Uhr war eine ausgemachte Sache. Wir sind durch die Zeit körperlich, intellektuell und vor allem „emotional „gebunden. Wir können in Begriffen der Zeit nachdenken, und wir stellen uns die Unendlichkeit vor, die im schlampigen Denken der Menschen irgendwie mit der Zeit assoziiert wurde, wenn auch als vage angenommenes verwandtes Element, etwa so wie Gegensätze verwandt sind. Da liegt der Hase im Pfeffer. Der Mystiker behauptet, dass die Zeit das Ergebnis des Denkens ist.
Mit der Wendung „Am Anfang“ wurde uns die Zeit auch auf den ersten Seiten der Bibel gegeben. Danach begaben wir uns in jenes Geschehen, was Religions- und weitergehend Menschheitsgeschichte geworden ist. Je nach Standpunkt hatten wir den freien Willen nach ein paar Seiten verloren oder gewonnen, anerkannt oder aufgegeben. Das heißt, wie wir uns eingestehen müssen, sehr früh eine Nebenhandlung zu einem Buch einzuführen. Es bedeutet, wenn wir das geschriebene Wort akzeptieren, sei es als Tatsache oder Metapher, dass alles, was danach kam, unternommen, erlitten, beschworen, geglaubt oder nicht geglaubt wurde oder worüber man sich einfach nur Gedanken machte, in einem Zustand geschah, der nicht derjenige war, den wir auf den ersten paar Seiten des Buches genossen.
Uns wurde der Begriff des Anfangs als etwas Notwendiges für das Erzählen einer Geschichte gegeben, etwas, um unsere emotionalen Hüte daranzuhängen. So wie unsere wissenschaftlichen Denker ihre Gedanken losschicken, damit sie sich in den Weltraum schrauben, schicken die religiösen Denker ihren Geist los, damit er sich zu einem Punkt schraubt, wo es nirgendwohin weitergeht. Unsere Denker, die religiösen wie die wissenschaftlichen, versuchen offensichtlich, dasselbe zu erreichen.
Obwohl das Konzept der Unendlichkeit das Produkt unserer Fantasie ist, das irgendwie ein literarisches Bedürfnis bedient, scheint es unserer Natur fremd zu sein. Unser Autor schrieb die Unendlichkeit ab und bot uns dafür „Am Anfang“ an, womit er uns in einem einzigen Schlag mit der Zeit verbindet. Unser Mangel an Zufriedenheit oder Gleichmut entstammt dem emotionalen Gulasch, den wir die conditio humana nennen. Das ist, kurz gesagt, der „Zustand“, in dem wir uns befinden. Es ist ein Zustand, der Komfort, Befriedung, Sicherheit, ein Gefühl von Vertrauen und Wohlbefinden erfordert. Die Wurzel der conditio humana, so scheint es, ist Existenzangst, nämlich das, was uns gegeben wurde, als Gott zu Adam sagte: „So ist verflucht der Ackerboden deinetwegen.“ Und Eva ging es keinen Deut besser. Vergebung sollte erst viel später kommen. Das bedeutet, dass alle Menschen mehr oder weniger tief, aber nicht grundlos, emotional unsicher sind. Das Ergebnis ist Kampf, Armut, Krieg und alles andere, was unsere entsetzliche Geschichte ausmacht. Im besten Fall ist es ein Ringen mit Angelegenheiten des Geistes.