Bürgerrechte, die Hizmet-Bewegung und die befreiende Kraft der Bildung

Eines der fundamentalen Prinzipien der Lehren von Fethullah Gülen und somit eines der beseelenden Prinzipien der Hizmet-Bewegung ist die Vorstellung, dass Bildung eines der vorrangigsten Mittel ist, durch welche die menschliche Person wirklich human wird und ihr volles Potenzial ausschöpft.

Dieser kurze Essay hat drei grundlegende Ziele. Das erste ist, eine allgemeine Definition der Hizmet-Bewegung zu geben. Das zweite ist, einige der wichtigsten Merkmale der Bewegung herauszuheben, was ihre Betonung der Bildung betrifft. Das dritte ist zu vermitteln, in welchem Ausmaß die Lehren von Fethullah Gülen ein Verständnis von und Engagement für Bildung als befreiende Kraft verkörpern, ein Engagement, das seinen tiefen Widerhall in der Rolle der Bildung im gegenwärtigen Kampf für Bürgerrechte in den Vereinigten Staaten findet.

 

  1. Definition

Ich definiere Hizmet (türkisch für „Dienst“) als eine globale spirituelle Erneuerungs- und soziale Reformbewegung, die in der traditionellen islamischen Spiritualität, Observanz und Lehre verwurzelt ist, aber Menschen mit verschiedenem Glauben und Hintergrund anspricht, die ihre universellen Werte teilen. Diese Werte kreisen um die Wichtigkeit von Familie, Bildung und persönlicher Verantwortung für das Wohlergehen der Anderen – alles innerhalb des Kontextes eines Lebens, das in liebender Hingabe (islam) zu Gott gelebt wird. Solche Werte sind auf Dialog und Kooperation ausgerichtet – beides innerhalb von und über Gesellschaften und Kulturen hinaus – zum Zweck der Verfolgung größerer Gerechtigkeit und somit größeren Friedens und größerer Solidarität in der Menschheitsfamilie.

In dieser Hinsicht steht Hizmet im Gegensatz zu anderen zeitgenössischen sogenannten islamischen Bewegungen, die primär politischer Natur sind und eine Reformagenda verfolgen, indem sie die Regierungs- und Rechtsstrukturen bestehender Nationalstaaten mit muslimischer Mehrheit offen „islamisieren“ wollen.

 

  1. Fethullah Gülens Lehre der hoşgörü als das Hizmet zugrundeliegende Ethos

Wie viele Leser dieser Zeitschrift sehr wohl wissen, ist der geistige Inspirator der Hizmet-Bewegung ein älterer Herr, der Rasen mäht und Geschirr spült, mit Namen Fethullah Gülen. Er ist auch Millionen anderen bekannt, die ihn als einen wahren Mann Gottes und außerordentlich weisen Lehrer achten und als „Hocaefendi“ oder „geliebter Lehrer“ verehren. Zu ihnen zähle auch ich mich.

Es gibt vieles, was man über diesen außergewöhnlichen Mann sagen könnte. Tatsächlich könnten mehrere Bände über seine unglaubliche Lebensgeschichte des selbstlosen Dienstes für Gott durch den demütigen Dienst am anderen, um den er sich stets bemüht hat, geschrieben werden. Zahllose Seiten könnten geschrieben werden, welche die aufschlussreichen und tiefen Gedanken erkunden, die er in seinen vielen Büchern mitteilt, die in so viele Sprachen übersetzt wurden. Aber Herr Gülen selbst wäre wenig darüber erfreut, dass ein Schriftsteller Energie darauf verschwendet, über ihn statt über die Mission zu schreiben, der er sein Leben gewidmet und zu der er zahllose andere unermüdlich ermuntert hat.

So erlauben Sie mir aus Achtung vor den Gefühlen von Herrn Gülen, ein Schlüsselprinzip seiner Lehren herauszustellen, das wohl das beherrschende Ethos der Bewegung ist, die er inspiriert hat. Dieses Schlüsselprinzip heißt im Türkischen, das in Gülens Herkunftsregion gesprochen wird, hoşgörü.

Die Standardübersetzung für hoşgörü lautet „Toleranz“. Daher die folgende Übersetzung einiger berühmter Verse aus Hocaefendis Gedichten:

„Sei so tolerant, dass deine Brust (Herz) soweit wird wie der Ozean. Sei vom Glauben und der Liebe zu den Menschen inspiriert. Lass es keine besorgten Seelen geben, denen du keine Hand reichst und die dich nicht kümmern.“

Selbst in der Übersetzung ist das geistig-moralische Pathos dieser Verse kraftvoll. Dennoch ist die Übersetzung, so kraftvoll sie sein mag, inadäquat. Ihre Inadäquatheit hat in erster Linie mit den Tücken der Übersetzung und in diesem besonderen Fall mit der beachtlichen semantischen Lücke zwischen dem Bedeutungsreichtum der Wurzel des türkischen Wortes hoşgörü und dem eher engen Konnotationsspektrum des zeitgenössischen Wortes „Toleranz“ zu tun. Wo „Toleranz“ den Sinn von Erdulden eines ungünstigen Umstandes oder einer Reihe von ungünstigen Umständen – gewöhnlicherweise unter Schwierigkeiten – trägt, hat hoşgörü ein radikal andere Konnotation. Der Begriff leitet sich von zwei Wurzeln her: die erste, hoş, bedeutet „gut“, und die zweite, görmek, „sehen“. Somit meint hoşgörü wörtlich „[den anderen] auf gute Art sehen“ und/oder „die Gutheit im anderen sehen“. Gülen schreibt dazu:

„Unter der Linse von hoşgörü erreichen die Verdienste der Gläubigen eine neue Tiefe und erweitern sich in die Unendlichkeit; Fehler und Mängel schrumpfen so stark, dass sie unter einen Fingerhut zusammengepresst werden können. Gegenwärtig geht die Behandlung dessen, der jenseits von Zeit und Raum ist, durch das Prisma von hoşgörü, und wir warten darauf, dass es uns alle und die ganze Schöpfung ergreift“.[i]

Beachten Sie bitte, was Herr Gülen hier sagt. Er impliziert nicht nur, dass die menschliche Würde durch eine Ethik der hoşgörü erhöht wird. Er sagt, dass Gott, Gott selbst, auf Gottes Schöpfung– und besonders auf alle Menschen – durch die „Linse der hoşgörü“ sieht. Mit anderen Worten: Gülen versteht hoşgörü als eine gottgewollte Dynamik in der Beziehung zwischen Gott und Mensch. Er impliziert, dass, wenn der Eine Gott, der vollkommen und fehlerlos ist, in einer Weise, die unsere Güte betont[ii] auf die Schöpfung sieht – und besonders auf uns Menschen mit all unseren Sünden und Mängeln –, wir als fehlerhafte und sündige Wesen umso mehr gehalten sind, auf andere in derselben Weise zu sehen.

 

  1. Engagement für Bildung und eine pädagogische Methodik des Beispiels (temsil)

Bevor ich Fethullah Gülen Hocaefendi tatsächlich traf, meinte ich, ich hätte ihn schon in den vielen Freunden getroffen, die ich durch Hizmet gewonnen hatte. Sie konkretisierten durch ihr Leben die Essenz von so vielem, was er lehrt: Bescheidenheit, Dienst und eine tiefe Sorge um andere (besonders um jene, die leiden), Hingabe an die Familie, Engagement für die Verbesserung seiner selbst und den Willen, von jenen zu lernen, die anders sind als sie selbst. Dies sind alles wunderbare Worte, aber meine vielen Freunde von Hizmet, die an so vielen Orten in der Welt arbeiten, streben auch danach, sie in Taten umzusetzen. Die Welt hungert nach Beispielen, nicht nur nach Rhetorik, und Hizmet versucht auf seine eigene, besondere Weise, diesen Hunger zu stillen.

Dieser Begriff des Lehrens durch Beispiel, auf Türkisch temsil, ist ein wesentlicher Bestandteil der Bildungsphilosophie und der pädagogischen Methodik, die Fethullah Gülen befürwortet.

Ruth Woodall[iii] erinnert uns:

„Gülen nennt die Ausführung der oberflächlichen, technischen Aspekte der Einweisung ‚Lehren‘ und reserviert den Begriff ‚Bildung‘ für eine tiefere, bedeutendere und ganzheitliche Tätigkeit. Trotz der Wichtigkeit, die die Schulen dem Einüben praktischer Unterrichtstechniken beimessen, ist der Lehrer mehr als ein bloßer Lieferant von Informationen oder Fertigkeiten. Die Beziehung zwischen Lehrer und Schüler ist entscheidend: ‚Die beste Art, Menschen zu erziehen, ist, ein wirkliches Interesse für jeden Einzelnen zu zeigen und dabei nicht zu vergessen, dass jeder Einzelne eine eigene ‚Welt‘ ist“.[iv]

Für Gülen ist also die Rolle des Lehrers als eines Beispiels von hoşgörü zentral für seine Wirksamkeit, nicht nur im Klassenraum als Pädagoge, sondern als Erzieher im weiteren und ganzheitlichen Sinn. Wir sollten nicht übersehen, in welchem Maß Gülen dies in seiner eigenen Rolle als paradigmatischer Lehrer/Erzieher oder hodscha auf ausgezeichnete Weise in der Hizmet-Bewegung verkörpert. Die praktischen Auswirkungen von Gülens eigenem Modell der hoşgörü werden am offensichtlichsten bei den Lehrern, die in den über 1500 Hizmet-Schulen weltweit arbeiten. Um zu Woodhall zurückzukehren:

„Die Wichtigkeit, welche in der Bewegung der Entwicklung des Einzelnen beigelegt wird, bringt Lehrer und Verwalter hervor, die ihre freie Zeit nach der Schule oder am Wochenende für Einzelne oder kleine Gruppen verwenden. Schulabsolventen, die ihr Studium begonnen haben, kehren ebenfalls gerne zurück, um den Schülern der folgenden Klassen beim Lernen zu helfen und sie zu beraten.[v] […] Der Altruismus der Lehrer beschränkt sich nicht darauf, dass sie ihre Zeit für die Schüler opfern. Sie bringen auch große finanzielle Opfer. Viele Lehrer zahlen Schülern ganz oder teilweise das Schulgeld“.[vi]

[i] The Necessity of Interfaith Dialogue: A Muslim Perspective, 2001

[ii] vgl. Hadith 37 von Erba‘īn oder el-Newewī

[iii] Fethullah Gülen’s Philosophy of Education in Practice

[iv] Ünal und Williams 2000, S. 313

[v] Aslandoğan and Çetin 2007, S. 54

[vi] www.fethullahgulenforum.org

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