Ein Moment mit Dir

Von Ahmed Dönmez

Wie kann ich denn all diese vergänglichen Dinge, die mich umgeben, endlich hinter mir lassen, um mich dem Unvergänglichen hinzugeben? Ich lege erneut den Grundstein meines Hauses aus Eisziegeln, ja ich baue auf Eis in der Wüste unter brennend heißer Sonne, statt mein in Stürmen brüchig gewordenes Herz, welches seinen Anker verlor und Schaden nahm am ganzen Rumpf, am Bug wie am Heck, das Deck vermoost, von den Segeln nur zerzauste Fetzen übrig, anzudocken im Hafen des Unvergänglichen und mich in seiner warmen Gegenwart wie in Mutters Armen geliebt und geborgen zu fühlen, von Wechselseitigkeit weit und breit keine Spur, einfach dazubleiben und mich zu erholen von den Stürmen und Klippen von Eisbergen und Gewittern von Enttäuschungen, ja vor allem von Enttäuschungen, aus welchen man einfach nicht lernen wollte. Wie ein Zugtier in der Mühle, dessen Walze einzig und allein dem Zwecke dient, seine eigenen Fußabdrücke zu vernichten, verursache ich mit jedem weiteren Schritt weitere Spuren, die plattgewalzt werden, doch jeder Schritt ist ein weiterer Fehltritt, den ich versuche, mit der Walze hinter mir verschwinden zu lassen. Gefangen in dieser Zwickmühle ankerte mein Herzensschiff wieder und wieder an Küsten, die das Wahre zu sein schienen, idyllisch anmutende Inseln, die sich als Vulkane entpuppten, märchenhafte Landschaften die sich in ihrer salzigen Natur im Meer der Bewegung und Veränderung auflösten. Doch bin ich nun hier angekommen im Hier und im Jetzt. Mit Körper, Geist und Gedanken bin ich im warmen Schoß der unvergänglichen Barmherzigkeit und bedingungslosen Akzeptanz und entspanne einfach mal meine müden Augenlider so, dass sich meine Wimpern umarmen, ausgiebig und lange. In diesem Moment des Angekommenseins, der Geborgenheit und Sicherheit sich innigst wünschen, dieser Moment solle nie enden – sich keine Sorgen mehr machen müssen um nichts und niemanden, nicht mehr bangen müssen, um irgendetwas, aber vor allem nicht mehr darum, enttäuscht zu werden, eine Zuneigung in Treue auf Ewigkeit! Erst hier verstehe ich, dass ich ein Leben lang weit weg war von zuhause und es nicht einmal wusste bis zu diesem Zeitpunkt, an dem ich nun endlich hier bin, zuhause, bei dir. Zuhause ist da, wo du bist.

Bei Dir angelangt, alle Gedanken von Vergänglichem verbannt stehe ich nun hier in Deiner so deutlich spürbaren Gegenwart, die mich umgibt, gespannt und voller Hoffnung in Dich. Denn hier bei Dir, wo das mir Unmögliche neben dem Dir Möglichen verschwindet, hier bei Dir, beim Ursprung aller Großzügigkeit und Weitherzigkeit, jetzt, wo ich hier angekommen bin und so reich mit dem Geschenk der Einsicht beschenkt wurde, stelle ich mir immer öfter die Frage, warum es nicht früher gelungen ist, von all den steilen und steinigen Irrwegen und Sackgassen zu Dir zu finden und warum ich mich habe so lange ablenken lassen von Dingen oder Menschen, die selbst blind, taub und stumm sind. Die Wege zu Dir sind so viele wie die Atemzüge aller Lebewesen.

Je größer eine Stadt, umso mehr Wege, Straßen, Autobahnen, Fahrradwege, Pfade, Wasserwege, Züge, Flüge führen dorthin. In das Dorf meiner Oma jedoch komme ich überhaupt nicht mehr, denn der einzige Weg, der dahin führte, ist zugeschüttet von einem Erdrutsch, und meine Oma hat weder die Kraft noch die Macht, dies zu ändern, obwohl sie mich sehr vermisst und ihr eine helfende Hand gerade sehr guttun würde; doch wenn mich ein erhabener König sehen will – mich armen Dorfmenschen –, dann entsendet er einen Helikopter oder besser noch, weil er über jegliche Science-Fiction-Technologie verfügt, beamt er mich zu sich wie bei Raumschiff Enterprise, und dabei ist es unerheblich, wie mittellos ich bin oder dass das schnellste und fähigste Beförderungsmittel, welches ich je nutzte, ein Maultier war, sondern was zählt, ist, dass er mit seinen unerschöpflichen Mitteln einen Helikopter entsendet als Zeichen seines Reichtums und dass er mich zu sich beamt als Zeichen seiner Macht. Nur durch ein banales zustimmendes Nicken von mir werde ich von seinem Piloten zu ihm geflogen, von seinem Stargate-Wächter zu Ihm gebeamt. Dass ich bei ihm bin, ist nicht mein Vermächtnis, sondern sein Geschenk an mich.

Endlich bin ich sie nun los, die Vergänglichen, denn ich liebe die Vergehenden nicht, zumindest für den Augenblick bin ich sie los, für den Augenblick genieße ich nur die Zweisamkeit mit der unvergänglichen Liebe und Anerkennung. Hier stehe ich nun in tiefster Dankbarkeit vor Dir, dem Barmherzigen, dem Herrn der Welten, dem König und Richter am Schicksalstag meines unendlichen Lebens. Allein vor Dir stehe ich, nur die Hoffnung auf Dich trage ich in mir. Du, der mich beschenkt mit Gaben und der Einsicht, der wertvollsten aller Gaben, Du führst mich zu Dir und bewahrst mich vor Elend bringenden Abwegen.Du bist mir barmherzig im Hier und Jetzt und auch in jedem anderen Hier und Jetzt. Du bist barmherzig dem Dankenden und dem schnöden Undank. Du hast mir mich gegeben, mich das Lesen und Sprechen gelehrt und ich spreche: Du bist Einer, ein ewig Reiner, Du hast nicht gezeugt und Dich gezeugt hat keiner und nicht Dir gleich ist einer. Vor Deiner vollkommenen Großartigkeit verbeuge ich mich und richte mich wieder auf in dem Wissen, dass Du meinen Dank hörst, und fühle, ich will Dir nochmal dafür danken. Am Nächsten bin ich Dir in der Einsicht meiner verschwindenden Winzigkeit, meiner allgegenwärtigen Unzulänglichkeit im Vergleich zu Deiner Großartigkeit, und ich werfe mich nieder vor Dir. Nach zu langem Irrtum fühle ich mich Dir so nah wie nie zuvor und genieße ausgiebig und intensiv Deine wohltuende Intimität. Für einen Wimpernschlag setze ich mich wieder auf, denn ich weiß, Du vergibst mir und nimmst mich an, trotz meiner unzähligen Fehltritte, und ich schöpfe aus Deiner unerschöpflichen Quelle der Vergebung und werfe mich erneut nieder, um eingehüllt zu werden in die Wärme Deiner Nähe. Einmal gekostet, verlange ich, der Geschmack soll sich unaufhörlich entfalten, und ich bleibe, wo ich bin.

error

Gefällt Ihnen der Artikel? Dann abonnieren Sie die Fontäne als Print-Ausgabe.

0

Dein Warenkorb