FASTEN UND REINIGUNG

Von Prof. Dr. İrfan Yılmaz

Derzeit werden zahlreiche Studien über das Fasten durchgeführt, eine Praxis, die in vielen Religionen vorgeschrieben ist. Zunehmend gibt es Hinweise darauf, dass periodisches Fasten für die menschliche Gesundheit von Vorteil ist.

Das Gegenteil von Fasten – übermäßiges Essen – hat sich als hauptverantwortlich für viele Krankheiten erwiesen, darunter Krebs, Fettleibigkeit und Herzerkrankungen. Viele Jahre lang war man sich einig, dass das Fasten, also auch der anhaltende Hunger, schädliche Auswirkungen auf den menschlichen Körper haben könnte, die vom Nierenversagen bis zum Muskelverlust reichen – was die Vorteile dieses weit verbreiteten religiösen Gebotes in Frage stellte.

Religiöse Menschen – auch Muslime – glauben seit langem, dass Gott keine Praxis empfehlen würde, die den Körper beeinträchtigt. Die Härten und Schwierigkeiten, die mit einer religiösen Praxis einhergehen, sind nicht allzu extrem für Menschen, die sich ihrer Abhängigkeit von Gott bewusst sind: Sie betrachten ihre Prüfungen als ein Zeugnis ihres Glaubens. Zu diesem Glauben gehört die Gewissheit, dass Gott keine schädliche oder unerträgliche Praxis empfehlen würde.

In diesem Artikel soll es um zwei unbekannte Vorteile des Fastens gehen, die kürzlich entdeckt wurden.

Regeneration von Stammzellen

Es gibt eine ganze Reihe von Beweisen dafür, dass Hunger während bestimmter Tageszeiten den Stoffwechsel des Körpers fördert, den Fettverlust beschleunigt, oxidativen Stress1 verringert und die Funktionen der Gewebe verbessert, aus denen sich verschiedene Organe zusammensetzen, darunter die Leber, der Darm und das Gehirn. Die erste der beiden neuen Entdeckungen über die zugrunde liegenden Prozesse liefert jedoch ein fehlendes Teil des Puzzles, indem sie uns hilft, die unglaublichen Veränderungen zu verstehen, die der Hunger in Stammzellen auslöst.

Forscher am MIT, der Duke University School of Medicine und dem Whitehead Institute for Biomedical Research in Cambridge veröffentlichten einen Artikel, der darauf hinweist, dass ein Teil des Mysteriums der Stammzellen in der Oxidation (Verbrennung) von Fett in den Mitochondrien liegen könnte.2 Omer H. Yilmaz und seine Kollegen fanden heraus, dass ein 24-Stunden-Fasten den Fettabbau im Darmstamm und in speziellen Vorläuferzellen von Ratten beschleunigt.

Yilmaz und Kollegen gaben Ratten 24 Stunden lang keine Nahrung, um den Zustand ihrer Stammzellen zu untersuchen. Sie fanden heraus, dass die Funktionen der intestinalen Stammzellen zunahmen und der Fettstoffwechsel bei jungen und älteren Mäusen auch in frühen Hungerphasen beschleunigt wurde. Sie sahen, dass das Anzapfen von Fett für den Energiebedarf des Körpers die Gesundheit und Stärke der intestinalen Stammzellen aufrechterhält. Außerdem stellten sie fest, dass die alten Mäuse begannen, ihre Fähigkeit zum Abbau und zur Verwendung von Fetten für den Energieverbrauch zu verlieren, wenn sie nicht fasteten.

Die Forscher kamen im Laufe der Studien zu weiteren interessanten Ergebnissen. Es wurde festgestellt, dass eine einzige Hungerperiode von 24 Stunden die Erneuerung der Darmzellen förderte und die Stammzellfunktionen bei älteren Mäusen noch deutlicher stiegen. Ein weiterer interessanter Befund war, dass Mäuse mit geschädigtem Darm, denen Nahrung vorenthalten wurde, sich schneller erholten als diejenigen, die gefüttert wurden.

„Mein Labor ist daran interessiert zu verstehen, wie Diät im Allgemeinen eingesetzt werden kann, um die Gewebefunktion zu verbessern“, sagt Yilmaz. „Eine der Gewebearten, die ich untersuche, ist der Darm. In meinem Labor untersuchen wir den Darm, weil er eines der größten Organe im Körper ist. Es ist auch ein Gewebe, das einen schnellen Zellumsatz erfährt.“3

Der Darm wird von einer einzigen Zellschicht gesäumt, die sich alle fünf bis sieben Tage erneuert. Hier kommen die Darmstammzellen ins Spiel. Sie sind besonders wichtig, um Darmschäden zu beheben, die z. B. durch Darminfektionen und Chemotherapie verursacht werden. Die im Darm für Verdauungs- und Absorptionstätigkeiten ausgeschiedenen Hilfsmittel und Enzyme schädigen die Zellen trotz deren schützender Schleimschicht. Andere Zellen platzen und sterben bereits, wenn sie ihr Sekret entleeren. Darüber hinaus verursachen auch Medikamente die Zerstörung und den Abbau der Epithelzellschicht. Sich schnell vervielfältigende Stammzellen regenerieren hingegen die Epithelzellen. Stammzellen sind sehr aktiv und jung und haben die Fähigkeit, sich kontinuierlich zu teilen und zu vermehren.

Dazu erläutert Dr. Yilmaz: „Mit zunehmendem Alter werden Stammzellen im Darm und in vielen anderen Geweben des Körpers, auch im Blut und im Nervensystem, weniger funktionsfähig. Wir glauben, dass eine verminderte Funktion der adulten Stammzellen zu einem Teil zum altersbedingten Funktionsrückgang beiträgt. Mein Labor ist sehr daran interessiert, kalorienarme Interventionen zu untersuchen, um diesen Rückgang zu verzögern. Wir wissen seit über 100 Jahren, dass kalorienarme Zustände wie Fasten bzw. Kalorienreduktion positive Auswirkungen auf die Gesundheit und das Altern des Gewebes haben können. Wir haben Beweise dafür gefunden, dass das Fasten in Zeiten von Darminfektionen, die zu Durchfall führen, zum Beispiel die Heilung der Darmschleimhaut fördern kann.“4

Dieses Zitat unterstreicht die Bedeutung des Themas. Trotz allem Wissen seien, so Yilmaz, die zellulären Mechanismen dieser Erneuerung bislang nicht entdeckt worden. Er und sein Team arbeiten daran herauszufinden, wie Fasten und Hunger diese Erholung ermöglichen.

Stammzellen werden im Fett glücklich!

Durch die Experimente entdeckten die Forscher, dass die Stammzellfunktion bei hungrigen Mäusen durch die Verbrennung (Oxidation) von Fettsäuren in Darmzellen erreicht werden kann. Als sie den Fettstoffwechsel durch Gentechnik anhielten, stellten sie fest, dass die Vorteile des Fastens an Darmstammzellen zu vernachlässigen waren.

Unter den derzeitigen Ernährungsbedingungen beziehen wir 60–70 % unserer Energie aus Kohlenhydraten oder Zucker, 20 % aus Fetten und 10 % aus Aminosäuren. Ein interessanter Befund von Dr. Yılmaz und seinem Forschungsteam ist jedoch, dass wir, sobald wir fasten, durch die Verwendung von Fetten wesentlich mehr Energie gewinnen. Ihren Experimenten zufolge verwendeten die Darmstammzellen bei jungen und älteren Mäusen während des Fastens statt Kohlenhydraten Fette als primäre Energiequelle, und diese Verschiebung ermöglicht eine Verbesserung der Stammzellfunktionen.

Es ist noch nicht bekannt, was dem Fettstoffwechsel zugrunde liegt, der die Stammzellfunktionen als Reaktion auf das Fasten fördert, aber es ist zu beobachten, dass Stammzellen besser funktionieren, wenn sie Fett verbrennen. Die Fähigkeit, Fette effizient zu metabolisieren, nimmt mit zunehmendem Alter ab.

Es ist wahrscheinlich, dass dieser beschleunigte Stoffwechsel – gefördert durch bestimmte Diäten, wie die Keto-Diät, bei der die Menge an aufgenommenem Fett auf 70 % und die Kohlenhydrataufnahme auf 5 % begrenzt ist – bei epileptischen Anfällen und ähnlichen neurologischen Störungen hilft: Die beim Fettstoffwechsel entstehenden Ketonkörper werden vom Gehirn als Energiequelle genutzt.

Wenn das Fasten die Funktionen der Darmstammzellen durch den Fettstoffwechsel verbessern kann, sind dafür laut Dr. Yilmaz die Mitochondrien, die Kraftzentren der Zelle, verantwortlich. Der Fettstoffwechsel oder der sofortige Abbau oder die „Verbrennung“ des in die Zelle gelangenden Fetts erfolgt in den Mitochondrien. Eine gestörte Energieerzeugung aufgrund von Alter und abnehmender Zahl von Mitochondrien kann ein Grund für die Anfälligkeit des Gehirns für Krankheiten sein. Eine positive Entwicklung der Gehirnfunktion kann daher mit der Oxidation von Fettsäuren und somit mit dem Fasten in Zusammenhang stehen.

Reinigung durch Fasten

Genau wie unsere Wohnung einen Frühjahrsputz braucht, brauchen unsere Zellen eine gründliche Reinigung, um richtig zu funktionieren. Falsch gefaltete Proteinpartikel, Reste von beschädigten Organellen, gebrochene Molekularstücke und gealterte Zellen, die sich nicht mehr teilen können, sollten aus unserer Zellstruktur entfernt werden. Das Fasten erfüllt perfekt die Aufgabe, diese Abfälle zu reinigen und den Bereich in der Zelle zu räumen.

Alles hat Zekat (ein Mittel zur Reinigung), und das Zekat des Körpers ist das Fasten.“ 

(Ibn Mādje: Ṣiyām, 44)

Das Fasten ist ein Schutzschild.“

(El-Buḫārī: Ṣawm, 2)

Was ist Autophagie?

Der Begriff „Autophagie“ setzt sich aus zwei altgriechischen Wörtern zusammen: auto (selbst) und phagein (essen). Unter „selbstessend“ versteht man den Abbau und das Recycling von Eiweißabfällen und alten, beeinträchtigten Molekülen durch intrazelluläre Verdauungsorganellen, die Lysosomen genannt werden. Auf diese Weise werden Proteine oder Zellorganellen verdaut und aus dem Verkehr gezogen. Wir können Autophagie mit dem Einsammeln von Müll vergleichen.

Die Studie des japanischen Forschers Yoshinori Ohsumi, die ihm 2016 den Nobelpreis für Medizin einbrachte, ergab, dass die Autophagie, die in der Zelle durch Fasten oder Hungern entsteht, eine wichtige Rolle bei der Vorbeugung von Alterung, Infektionen und Tumoren spielt. Wenn die Autophagie zusammenbricht, können viele Krankheiten ausgelöst werden, darunter auch Krebs. Umgekehrt können bei regelmäßiger Autophagie Tumore unterdrückt werden – je nach Entwicklungsstadium und Tumorart. Die Krebsforschung konzentriert sich seit langem auf die Kanalisierung dieser autophagen Aktivitäten. Die Einschränkung der Nahrungsaufnahme durch Fasten ist vielversprechend: Sie kann normale Zellen schützen, während sie die Autophagie auslöst und so die Wirkung von Krebsbehandlungen erhöht. Die Autophagie könnte auch für andere Krankheiten Lösungen oder Behandlungsmöglichkeiten bieten, darunter Entzündungskrankheiten5, Neurodegeneration6, Stoffwechsel- und Herz-Kreislauf-Erkrankungen7, Fettleibigkeit8 und Stoffwechselstörungen.

Präklinische Studien haben gezeigt, dass Ernährungseinschränkungen durch Fasten zur Erhöhung der Lebenserwartung eines Menschen beitragen und die Entwicklung altersbedingter Krankheiten wie Krebs und neurodegenerative und kardiovaskuläre Erkrankungen verlangsamen9.  

Anmerkungen

Oxidativer Stress: Der Schaden, der durch die übermäßige Vermehrung von freien Sauerstoffradikalen aus Lebensmitteln verursacht wird, die den Blutzucker (mit hohem glykämischen Index) als Stoffwechselabfall anheben. Ein gutes Beispiel für oxidativen Stress ist die Bräunung bestimmter Lebensmittel wie Äpfel, Bananen usw. nach dem Schälen.

Yilmaz, Omer H. et al. 2018: „Fasting Activates Fatty Acid Oxidation to Enhance Intestinal Stem Cell Function during Homeostasis and Aging“, in: Cell Stem Cell, Vol. 22, Issue 5, 3. Mai 2018, S. 769–778.

Paige Brown Jarreau. 2018: „Eating (Or rather, Fasting) Our Way to Rejuvenated Stem Cells?“, in: Life and Tech @ LifeOmic, 7. Juni 2018, A Medium Corporation.

Ebd.

Cadwell K. 2016: „Crosstalk between autophagy and inflammatory signaling pathways: balancing defence and homeostasis“, in: Nat Rev Immunol. 16 (11): 661–75.

Menzies FM, Fleming A, Caricasole A, Bento CF, Andrews SP, Ashkenazi A et al. 2017: „Autophagy and Neurodegeneration: Pathogenic Mechanisms and Therapeutic Opportunities“, in: Neuron. 93 (5):1015–34.

Bravo-San Pedro JM, Kroemer G, Galluzzi L. 2017: „Autophagy and Mitophagy in Cardiovascular Disease“, in: Circ Res. 120 (11):1812–24.

Lavallard VJ, Meijer AJ, Codogno P, Gual P. 2012: „Autophagy, signaling and obesity“, in: Pharmacol Res. 66 (6):513–25.

O’Flanagan CH, Smith LA, McDonell SB, Hursting SD. 2017: „When less may be more: calorie restriction and response to cancer therapy“, in: BMC Med. 15(1):106.

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