Ziviler Islam und Europa

Sind die Religionen in ihrer Essenz politisch oder haben sie Politisierungspotenzial? Welche Formen des Islams haben sich im Laufe der Zeit in der muslimischen Welt etabliert? In welchen Prinzipien unterscheidet sich der zivile Islam vom politischen Islam? Welche Voraussetzungen müssen erfüllt sein, damit der zivile Islam in Europa etabliert werden kann? Antworten auf diese Fragen gibt Arhan Kardas im folgenden Beitrag.

Alle abrahamischen Religionen etablierten sich zuerst als ziviles Engagement und formten sich im Laufe der Zeit entweder lediglich zivil oder sowohl zivil als auch politisch. Die Dauer der gesellschaftlichen Etablierung von Judentum, Christentum und Islam unterscheidet sich. Das Judentum brauchte den Wechsel einer Generation, um sich in Jerusalem unter der Herrschaft von Joschua zu etablieren. Das Christentum, eine zivile Religion, wurde erst 300 Jahre nach seiner Entstehung politisiert. Der Islam wiederum konnte sich innerhalb von 23 Jahren als ein ziviles und politisches Gebilde in Medina etablieren. Aus dieser Perspektive kann gleichermaßen vom politischen Judentum, Christentum und Islam gesprochen werden. Die entscheidende Frage ist, ob die Religionen im Prinzip auf den Aufbau eines Staatsapparats oder die Gestaltung der Gesellschaft bzw. Gemeinschaft abzielen. Sind sie in ihrer Essenz politisch oder haben sie Politisierungspotenzial? Sind sie Wertegemeinschaften oder vielmehr Staatsideologien? Diese religionssoziologischen Fragen können wir in diesem kurzen Artikel nicht zur Gänze beantworten. Die Bezeichnung politischer Islam wird auf bestimmte islamische Strömungen angewendet, die die Probleme der Muslime innerhalb der Grenzen der gesetzmäßigen Politik zu lösen versuchen.1 Ausgehend von dem Begriff des politischen Islams wollen wir in diesem Artikel versuchen, einen anderen Islam, nämlich den zivilen Islam, darzustellen.

„Ziviler Islam“ ist in unserer Gesellschaft kein geläufiger Begriff.2 Ich verwende den Begriff des zivilen Islams nicht nur als einen Gegenbegriff zum Ausdruck „Staatsislam“, sondern auch zum gängigen Begriff „politischer Islam“.3 In Abhebung von diesen Begriffen meint „ziviler Islam“ (arab. el-islam el-medenī) eine werte- und vertragsbasierte Erscheinungsform der islamischen Religion, deren Prinzipien und Zielsetzungen historisch zuerst in Medina zwischen 622 und 661 gesellschaftlich vertreten wurden. Die vorislamischen Namen der Stadt Jathrib (arab. Ort des Tadelns und der Schmähungen) änderte der Prophet in „Medina“ (arab. Ort der Gerechtigkeit) und hob der wörtlichen Bedeutung des Begriffes nach damit den Primat des Rechtes und der Gerechtigkeit hervor.

Geschichlicher Hintergrund

Nach dem Aufstand von Medina gegen den ersten umayyadischen König Yezid ibn Muawiya, der Schlacht von Harra und der anschließenden dreitägigen Plünderung der Stadt im Jahre 683 konnten sich die Werte des zivilen Islams nicht mehr im Verwaltungsapparat durchsetzen. Seitdem war das Sultanat (damals „Hiraqlīa“ genannt)4 ein Regime, in dem die Verwaltung der öffentlichen Anliegen nicht mehr durch die Wahl und Beratung des Volkes, sondern durch machthabende Dynastien bestimmt wurde. In der Folge kam es zur Politisierung der islamischen Religion, die über tausend Jahre hinweg den zivilen Islam im arabischsprachigen Gebiet unterdrückte. Der Islam von Medina, mit anderen Worten: der zivile Islam, legte großen Wert darauf, Entscheidungsprozesse durch Demokratie-ähnliche Partizipation zu gestalten. Dabei bediente er sich gewisser koranischer Prinzipien wie Treueidverträge (beyʿa) und Beratschlagung (schūrā) und versuchte, einen Konsensus der Bevölkerung bei der Bildung der Regierung herzustellen.

Politik ist weder ein Teil des Glaubens noch des Islams

Der Islam von Medina unterschied sich wesentlich vom Islam von Damaskus, der Hauptstadt der Umayyadan-Dynastie, von Kufa, der späteren Hauptstadt des politischen Schiitentums, und von Hidschr, dem Sammlungsort der Charidschiten in der Nähe des heutigen Riad in Saudi-Arabien. Den charidschitischen Gruppen aus Nadschd und Hidschr, die eine Art von Anarchismus befürworteten und schwere Sünder als Abtrünnige mit dem Tod bestraften, standen die Schiiten aus Kufa gegenüber, die Husain als alleinigen Nachkommen des Propheten ansahen, dem das politische Amt des Kalifaten gebühre, und die mithin Staatspolitik als wesentlichen Bestandteil des islamischen Glaubens verstanden. Medina stellte in diesem Diskurs die „Stimme der Vernunft“ dar; sie war eine wertebasierte Gemeinschaft, für die Politik keine notwendige Voraussetzung des Glaubens bzw. des Islams ausmachte. Zudem bevorzugte der Islam von Medina für die Bestimmung des Anführers der Gemeinschaft das Prinzip der Wahl. Somit steht der zivile Islam der Politik nicht gleichgültig gegenüber, aber er zielt keine politische Machtergreifung an. Er ist vielmehr bestrebt, mit den von ihm vertretenen Werten ethische Rahmenbedingungen für eine menschenwürdige Politik zu schaffen.

Umzug des zivilen Islams aus Medina nach Kufa und weiter nach Mittelasien

Nach der Ermordung des dritten Nachfolgers des Propheten Uthman (gest. 656) zog sein Nachfolger Ali ibn Ebi Talib (gest. 661) für sechs Jahre nach Kufa, wo er unterstützt von den Gelehrten Abdullah ibn Abbas (gest. 688) und zuvor von Abdullah ibn Mesʿud (gest. 652) die Werte des zivilen Islams umzusetzen suchte. Allerdings konnte er sich nicht lange gegen die Politisierung des Islams durch die Schiiten und Umayyaden wehren. Seine Gemeinschaft musste ohne politische Führerschaft zuerst nach Kurdistan, später nach Persien und schließlich nach Transoxanien fliehen. Aufgrund des geringen Einflusses der Abbasiden aus Bagdad und der Umayyaden aus Damaskus konnte sich der zivile Islam nun in Buchara, Samarkand, Fergana, Balch und benachbarten Städten sowie in Chorasan etablieren. Die Samaniden (819–1005), Ghaznawiden (977–1186), Karachaniden (960–1213) und später die Seldschuken (1040–1308) wurden von diesem Islamverständnis geprägt. Anders als die Araber hatten die Türken und Perser ein etabliertes Staatswesen, weshalb sie den Islam in erster Linie als Glaubenslehre und Religion aufnahmen und nicht als politische Anschauung. Im 19. Jahrhundert entwickelte sich dann die Lehre, dass der Islam sowohl eine Staatsauffassung als auch eine Religion sei. Demgegenüber stellten andere den universalen Geist des Islams heraus.

Inhaltliche Präger und Vertreter des zivilen Islams nach ihren Wissenschaftsgebieten

Der zivile Islam wurde theologisch und normativ maßgeblich durch Hasan el-Basri (gest. 728) und Ebu Hanife (gest. 767), Sufyan el-Thawri (gest. 778), Kadi Ebu Yusuf (gest. 798) in Kufe und Basra entwickelt und später durch die Theologie von Ebu Mansur el-Maturidi (gest. 944), und die Normenlehre von Hakim el-Schehid (gest. 945) und Muhammed el-Serahsi (1090) vertieft. Er wurde außerdem durch die Theologie, Philosophie und Normenlehre von Ebu Hamid el-Ghasali (Al-Ghasel) (gest. 1111) und Fahruddinel-Razi (gest. 1209) in Chorasan und Transoxanien bereichert.

In der Ethiklehre folgte der zivile Islam den Nachfahren aus dem Hause des Propheten (ehl-elbeyt) und wurde von Bayezid Bistami (gest. 878), Dschuneydel-Bagdadi (gest. 909), Ebul Hasen el-Kharaqanī (gest. 1033), Yusuf el-Hemedani (gest. 1140), Ebu Saīd Ebu’l Khayr (gest. 1049), Ahmed Yesevi (gest. 1166) und später in Anatolien von Mevlana Dschelaleddin Rumi (gest. 1273) und Yunus Emre (gest. 1321) sowie Hadschi Bektasch Weli (gest. 1271) und in Transoxanien von Bahauddin Naqschbendi (gest. 1389) vertreten.

Auf dem Gebiet der Hadith-Wissenschaften zählten zu den Vertretern des zivilen Islams die Hadith-Sammler von Chorasan und Transoxanien wie el-Buchari (gest. 870), Muslim (gest. 875), el-Tirmidhi (gest. 892), Ebu Davud (gest. 888), El-Nese’ī (gest. 915) und Ibn Madsche (gest. 887).

Auf dem Gebiet der Philosophie und Naturwissenschaften sind als wichtige Vertreter zu nennen: el-Kharizmī (Algorismi) (gest. 835), Ahmed el-Faragāni (gest. 860), die drei Söhne von Musa (Dschaʿfar, Ahmed und el-Hasan, gest. im 9. Jh.), EbuBekrel-Razi (Razes) (gest. 925), EbuReyyan el-Bīrūnī (gest. 1048), Muhammed El-Farabiibn Tarhan (Al-Farabi) (gest. 950) sowie Ebu Ali ibn Sina (Avicenna) (gest. 1037).

Die genannten Personen sind ohne Ausnahme mittelasiatischen (türkisch-persischen) Ursprungs. Das 9. und 10. Jahrhundert erlebte in allen Wissenschaftsgebieten und Einrichtungen der Zivilgesellschaft eine islamische Renaissance bzw. Aufklärung, die unabhängig von politischen Auseinandersetzungen bis ins 14. Jahrhundert erfolgreich überdauerte.5

Grundprinzipien des zivilen und des politischen Islams

  1. Ziel und Zweck des zivilen Islams ist die Vervollkommnung des Menschen, sodass er Schöpfernähe erlangt. Der politische Islam stellt Staat und Herrschaft in den Vordergrund.
  2. Der Koran ist für den zivilen Islam eine Lebensanweisung. Für den politischen Islam ist er aber eine Staatsverfassung.
  3. Der zivile Islam beschäftigt sich mit der Bildung von geistig und spirituell reifen Persönlichkeiten. Der politische Islam beschäftigt sich mit den Symbolen des Islams und seiner Präsenz in der Öffentlichkeit.
  4. Der zivile Islam versteht die umma (Gemeinschaft der Gläubigen) einschließend (inklusivistisch) und dynamisch. Der politische Islam hingegen betrachtet die umma ausschließend (exklusivistisch) und statisch.
  5. Der zivile Islam befürwortet die absolute Gerechtigkeit in der Gesellschaft. Für ihn darf das Recht eines Individuums nicht dem Wohl der Gesellschaft geopfert werden. Der politische Islam hebt die relative Gerechtigkeit hervor, die zumeist die Hegemonie der Mehrheit zulässt. Er vertritt das Prinzip des geringsten Übels.
  6. Der zivile Islam betrachtet diese Welt als Haus des Dienstes (dar-ul-hidme) und das Jenseits als Haus der Belohnung (dar-ul-udjra). Dabei kennt der zivile Islam keine territoriale Unterteilung der Welt, wenn es um den Dienst an der Menschheit geht. Der politische Islam hingegen teilt die Welt in zwei Lager ein: das Haus des Friedens (darul-islam) und das Haus des Krieges (dar-ul-harb), und er nimmt einen ständigen Kampf zwischen diesen beiden Polen an.
  7. Der zivile Islam hat die positive bzw. konstruktive Handlung im Fokus. Er zielt darauf ab, Körper, Geist und Herz des Menschen wiederzubeleben. Für ihn steht der folgende Grundsatz des Korans im Mittelpunkt: „Wenn jemand einen Menschen wiederbelebt, dann ist es so, als ob er die gesamte Menschheit wiederbelebt hätte“ (Sure El-Maide, 5:32). Der politische Islam hingegen ist zumeist auf Macht und Gewalt fixiert, die er entweder mit Selbstverteidigung oder mit Bekehrung der Nichtmuslime rechtfertigt.
  8. Der zivile Islam definiert Gott, Prophet und Mensch nach ihren Attributen. Demzufolge ist Gott derjenige, der die Eigenschaften des Gottseins erfüllt, und die Propheten sind diejenigen, die die Eigenschaften des Prophetenseins erfüllen. Ebenso ist es bei den Muslimen. Muslimsein ist eine attributbezogene Identität. Wenn ein Muslim die Charaktereigenschaften eines Gottverkenners (Kāfir) aufweist, deutet das auf Defizite in seiner Identität hin. Genauso kann ein Nichtmuslim gewisse vom Islam befürwortete Charakterzüge aufweisen, obwohl er sich nicht als Muslim betrachtet. Statt religiöser Überzeugung sind also entsprechende Charaktereigenschaften maßgeblich.6
  9. Die Erneuerung der islamischen Religion wurde fast ausschließlich durch zivile Akteure der muslimischen Gesellschaft initiiert, wie Hasen el-Basri, Ebu Hanife, Muhammed Idris el-Schafii, Ahmed Yesewi, Mevlana Dschelaleddin Rumi, El-Ghazali, Imam el-Suyuti (gest. 1505), Imam Rabbani (gest. 1624) oder Mevlana Khalid el-Bagdadi (gest. 1827). Mit Ausnahme von Umar ibn Abdulaziz (gest. 720) und Muhammed ibn Abdullah el-Mehdi (gest. 785) gibt es keinen Vertreter des politischen Islams unter den Erneuerern. Die Gelehrtentradition ist geradezu eine Antwort auf die Politisierung der Religion.
  10. Der zivile Islam interessiert sich für die Glaubenslehre, die islamische Handlungslehre und Ethik. Der politische Islam hingegen beschäftigt sich vor allem mit der Normenlehre und ist bemüht, ihr in ihrer klassischen Form im Bereich des öffentlichen Rechtes Geltung zu verschaffen.

Vorschläge für die Etablierung des zivilen Islams in Europa

Für die Etablierung eines europäisches Islams sind bestimmte Rahmenbedingungen zu schaffen, die ich stichwortartig benennen möchte:

  1. Religiöse Erfahrungen Europas dürfen nicht auf den Islam übertragen werden. Den Islam als eine Kirche zu verstehen, ist das Produkt einer solchen Projektion.
  2. Die deformierten Ansichten über den Islam müssen reformiert und auf die Grundprinzipien des ursprünglichen Islams des Propheten und seiner Gemeinschaft zurückgeführt werden.
  3. Das muslimische Individuum muss gestärkt und die Rahmenbedingungen geschaffen werden, die das Aufblühen des europäisch-muslimischen Individuums ermöglichen.
  4. Bei der Identitätsbildung der Muslime müssen die konstruktiven und dialogischen Höhepunkte der islamischen Geschichte hervorgehoben werden. Statt der politischen Islamgeschichte sollte die zivilisatorisch-kulturelle Geschichte des Islams in den Vordergrund gestellt werden, wobei der Fokus auf dem anatolischen Humanismus des 13. und 14. Jahrhunderts liegen sollte, dessen Vertreter Mevlana, Yunus und Hadschi Bektasch sind. Die Hochkultur Andalusiens gilt es als einen Teil der islamischen Identität zu etablieren.
  5. Die Kultur des Chilaf in der islamischen Tradition muss wiederbelebt und dem kritischen Denken der Aufklärung an die Seite gestellt werden.
  6. Ein Bündnis von Religion und Wissenschaft darf nicht kategorisch abgelehnt werden. Eine koranische Aufklärung durch die Anwendung der Vernunft des Korans ist möglich. Eine praktische Verwirklichung der koranischen Vernunft wäre die Einrichtung einer islamischen Theologie, in der auch natur- und geisteswissenschaftlichen Fächer unterrichtet werden.
  7. Demokratische Ansätze und gesellschaftsverantwortliches Engagement sollen gefördert werden! „Neueuropäer“, also Europäer mit Migrationsgeschichte/-hintergrund, stammen sie aus der Türkei oder dem Iran, Pakistan oder Marokko oder aus Schlesien und dem Sudetenland, sollten als einen Gewinn und eine Bereicherung betrachtet werden. Nicht der „Hardware“, sondern der „Software“ der Menschen gelte Beachtung! Menschen, die hier geboren und aufgewachsen sind, „funktionieren“ nach deutscher „Software“.
  8. Heutzutage stellen weder die Moscheen noch die Kirchen die tägliche Realität der Kinder dar. Das Leben findet in den Schulen statt. Daher ist es vonnöten, den Islam in das Bildungswesen zu integrieren. Deutschland hat inzwischen den islamischen konfessionsbezogenen Unterricht in den Schulen sowie die Islamwissenschaft als reguläres Studienfach eingeführt.
  9. Ein empathischer Dialog, etwa im Rahmen von Scriptual Reasoning oder spirituell-intellektuellen Sommerschulen, ist vonnöten. Der inter- und intrareligiöse Dialog wird den europäischen Islam prägen. Das Ziel ist eine Kultur, in der auch das Sakrale geachtet wird. Toleranz ist nicht genug, es gilt, ein harmonisches Miteinander zu verwirklichen!
  10. Es muss eine Sprache des Islams, die den regionalen Sensibilitäten sowie dem Inhalt der islamischen Termini Rechnung trägt, entwickelt werden. Dabei soll jeder Begriff, der durch die Orientalistik Eingang in die Sprache fand, erneut überdacht werden.
  11. Die Verfassungswerte als conditio sine qua non dieser Gesellschaft müssen Gegenstand der schulischen und außerschulischen Bildung sein und in ihrer historischen und religiösen Legitimität einsichtig gemacht werden! Die Würde des Menschen, Gleichheit vor dem und durch das Gesetz, Religions- und Weltanschauungsfreiheit sowie alle Grundrechte und Freiheiten müssen an den Schulen von Kindesalter an gelehrt werden. Dasselbe gilt für Demokratie, Rechtstaatlichkeit, Gewaltenteilung, Minderheiten- und Frauenrechte sowie die Trennung von Staat und Kirche.

1 Bulaç, Ali, Ein zeitgemäßer Erneuerer in der Tradition der Ulema: Der Intellektuelle Alim Fethullah Gülen, in: Unsere Mitbürger, Muslime in der Postmoderne, hg. Hunt, Robert, Aslandogan, Yüksel A., S. 108–146, hier S. 114.

2 Diese Bezeichnung kommt, soweit ich sehe, erstmals in einem Artikel des muslimischen Intellektuellen Ali Bulac vor, in dem er die Position der Gülen-Bewegung hinsichtlich der Rolle ihres Gründers Fethullah Gülen diskutiert: Bulaç, Ali, S. 108–146.

3 Die Grundzüge des zivilen Islams gehen auf den berühmten Theologen und Rechtswissenschaftler Ebū Hanife (699–767) zurück, der die politischen Auseinandersetzung klar von theologischen Begründungen unterschieden hat: „Er sagt, kämpfe gegen die Aufrührer, weil sie Aufrührer sind, nicht weil sie Ungläubige sind, und sei bei der aufrichtigen und gerechten Partei dabei.“ (Ebu Hanife, En-Numan, el-fiqh-el-ewsat, S. 131).

4 Die Bezeichnung geht auf Abdurrahman ibn Ebī Bekr zurück, den ersten Sohn des ersten Kalifen, der sie gegenüber dem Boten von Muawiyeibn Ebī Sufyan, dem ersten König, verwendete, als er für seinen Sohn Yezidibn Muawiye von den Notabeln von Medina den Treueeid verlangte. Der damalige Gouverneur von Medina, Merwanibnel Hakem, sagte, Muawiye habe für die Gemeinschaft seinen Sohn als seinen legitimen Nachfolger bestimmt. Abdurrahman erwiderte: „Bei Gott, du lügst, o Merwan! Und auch Muawiye lügt. Ihr beide wolltet nicht die beste Wahl für die Gemeinschaft von Muhammed. Im Gegenteil, ihr wollt die Regierung in einen Herakleiosismus verwandeln. Wann immer ein Herakleios stirbt, kommt und verwaltet ein anderer Herakleios“ (Ibn el-Ethir, Bd. 3, S. 507). Abdurrahman meint damit den Herrscher des Byzantinischen Reichs Herakleios, seinen Sohn Konstantin und seinen Enkel Konstans II. sowie die von ihm gegründete Dynastie. Er vergleicht die Intention von Muāwiyeibn Ebī Sufyan mit dem byzantinischen Regime und findet das aus islamischer Sicht nicht in Ordnung. Zwar bezeichneten sich die Umayyaden-Herrscher als Kalifen, die Vertreter des zivilen Islams sehen darin aber bis heute nur einen nominalen Schleier für den Begriff „Sultan“ oder „König“. Somit endete die Einhaltung der Prinzipien des zivilen Islams mit der Ermordung des vierten Kalifen Ali und der sechsmonatigen Regierung seines gewählten Sohns Hassan ibn Ali.

5 Vgl. Starr, Frederick S., Lost Enlightenment, Cenral Arabia’s Golden Age from the Arap Conquest to Tamerlane, Princeton, 2013. Siehe Dramatis Personae und den Inhalt dieses Buches.

6 Vgl. Kardas, Arhan, https://www.youtube.com/watch?v=es19BKNi7MI.

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