Eine weitere Dimension der spirituellen Vervollkommnungsreise
(Seyr we Suluk)
Von M. Fethullah Gülen
Die Zehn göttlichen Feinheiten oder die sieben Stufen des Nefs (des Selbst) sind in der spirituellen Vervollkommnungsreise zusammen mit dem Weg der Tschille (selbstgewählte vierzigtägige Entsagung) eine von den spirituellen Meistern anerkannte Methode zur Erreichung der Lebensebene von Herz und Geist, die bis heute als der einzige Weg zur Vervollkommnung des Menschen angesehen wird.Es ist jedoch eine Tatsache, dass es andere Alternativen gibt, um den Rang, den Grad, die Gaben und die Gunstinputs zu erlangen, die durch die spirituelle Reise und insbesondere durch die darin enthaltene vierzigtägige Entsagung gewonnen werden kann.
Unter diesen Alternativen gibt es insbesondere verschiedene Methoden, die in gewisser Weise als Manifestation der Essenz der prophetischen Berufung und als Entfaltung des Weges der Prophetengefährten betrachtet werden können.
Der Weg der Propheten und ihrer Gefährten
Die folgenden sechs Prinzipien sind grundlegend für einen solchen alternativen Weg.
Machtlosigkeit (adschz): ist das Bewusstsein, dass die menschliche Kraft in Bezug auf viele Dinge nicht ausreicht [um erwünschte Wirkungen zu erlangen].
Armseligkeit (faqr): bedeutet, dass Gott der wahre Eigentümer und Besitzer aller Dinge und Wesen ist.
Barmherzigkeit (schefqat): bedeutet, jeden und jedes Geschöpf um des Schöpfers willen zu umarmen.
Tiefe Reflexion (tefekkur), ist ein diszipliniertes tiefgründiges Denken, das jeden Tag mit neuer Begeisterung die Außen- (Kosmos) und Innenwelt (Psyche) bunt durcheinander würfelt und erforscht.
Liebe und brennende Sehnsucht (aschq u ischtiyaq): eine nie erlöschende Liebe und Leidenschaft im Dienste Gottes, die im Rahmen der bisherigen Prinzipien fortgesetzt werden.
Dankbarkeit (schukr): sich aller Gnadengaben Gottes bewusst zu sein und diese mündlich, körperlich und geistig in einem ununterbrochen Dankbarkeitsgefühl zu erwidern.
Gemäß Bediüzzaman Said Nursi ist dieser Weg kürzer, sicherer und zuverlässiger.
Die Machtlosigkeit ist neben der Liebe, ja sogar vor ihr, eine solche Spirale aus Licht, die sich bis zum Horizont des [von Gott] Geliebtseins erstreckt. Je nachdem, wie tiefgründig man sich seiner Machtlosigkeit bewusst ist, kann der Mensch durch diese Vorgehensweise schneller als auf jedem anderen Weg sein Ziel erreichen.
Armseligkeit: Je tiefer das Bewusstsein davon, desto unerschöpflicher ist sie selbst vor den diszipliniertesten Bemühungen und Anstrengungen eine Ressource, mit der sich der Reisende zur Wahrheit in einem einzigen Zug hin zum Schutz der Barmherzigkeit Zuflucht sucht und die unermessliche Kraft der Allmacht erreicht und sich auf sie stützt.
Barmherzigkeit ist keine Gegenleistung erwartende und ein noch tieferes Gefühl als die gewöhnliche Liebe. Kein Reisender, der dieses Gefühl – eine Manifestation der Barmherzigkeit Gottes – in sich trägt, ist bisher auf der Strecke zurückgeblieben.
Reflexion ist der Weg der erleuchteten Seelen, die durch die Erforschung und Beobachtung der Außen- (Kosmos) und Innenwelt (Psyche), alles mit der Allweisheit Gottes verbinden.
Begeisterung (schewq) ist der Zustand derjenigen, die immer bewusst auf den göttlichen Punkt der Unterstützung und Zuflucht achten und daher niemals verzweifeln oder in Enttäuschung verfallen.
Dankbarkeit; eine besondere Bezeichnung für die bewusste Erwiderung auf all die von uns unbewusst wahrgenommenen Gaben, die so zahlreich miteinander verflochten sind und uns, ohne dass wir sie verdient haben, beschert werden.
Das Thema basiert im Wesentlichen auf folgenden Prinzipien:
„Ich bin machtlos, du bist allmächtig;
ich bin arm und abhängig, du bist reich und unabhängig;
ich bin bedürftig und in Not, du bist der Allbarmherzige;
ich bin verloren und auf der Suche, du bist das einzige Ziel und der einzige Zweck, der überall gesucht und von allem gefragt wird.“
Folglich ist es unvorstellbar, dass ein Machtloser und Armseliger, Bedürftiger und Suchender sich sein eigenes Nefs für rein hält und sich einen Rang verleiht oder sogar wissentlich Gott vergisst. Das sogar trotz seiner Vorkenntnis, dass er durch dieses Vergessen ebenfalls von Gott als „Vergessener“ abgestempelt wird.
Es ist absolut nicht möglich, dass ein solcher Mensch die Erfolge seiner Anstrengungen und Bemühungen sich selbst, aber für seine Misserfolge und Übeltaten die Entscheidungen des Vorwissens Gottes verantwortlich sieht oder sich selbst eine Art unabhängige Existenz zuschreibt.