Der ideale Stellvertreter Gottes auf Erden
Von Fethullah Gülen
In Bezug auf seine Beziehung zu und seinen Einfluss auf das Sein und die Geschehnisse ist der vollkommene Mensch der ideale Stellvertreter Gottes auf Erden. Er wurde aufgrund seiner Stellung, aus der er das göttliche Handeln beobachtet und alles und jeden beaufsichtigt, damit geehrt, das Auge, das Ohr und die helfende und stützende Hand Gottes zu sein.
Er ist ein Mensch der vollkommenen Barmherzigkeit, der jeden Schutzbedürftigen wie eine Mutter liebevoll umsorgt und behütet. Voller Mitgefühl durchforscht er sein Umfeld. Wie das Blut, das in den Adern zirkuliert, findet man ihn überall im sozialen Körper. Er schützt diesen Körper vor Schädlingen. Er nährt und pflegt ihn nach Bedarf. Wie ein Geist kontrolliert er alle seine Aktivitäten. Er zeigt, dass er in jeder Hinsicht die zuverlässigste Garantie für sein Dasein ist: „Wir haben dich (o Muhammad) nur als unvergleichliche Barmherzigkeit für alle Welten entsandt“ (El-ʾEnbiyāʾ, 21:107). Der Ausdruck „vollkommener Mensch“ bezieht sich sowohl primär auf den Geist des Herrn der Schöpfung selbst, danach auch auf jene, die ebenfalls eine Quelle der Barmherzigkeit für andere sind, ganz gleich, ob Engel oder Menschen, belebte oder unbelebte Dinge.
„Wir haben dich zur gesamten Menschheit nur als Überbringer froher Botschaft und als Warner entsandt“ (Sabāʾ, 34:28). Er ist also der Wegweiser, Anführer, Rechtleiter, Aufseher und Überbringer einer guten Botschaft für die Menschheit.
Die Aufsicht des vollkommenen Menschen über alle Wesen und Dinge im Sinne der Schöpfungsbefehle bedeutet, dass er ihre Seelen mit Freude erfüllt, ihnen die Bedeutung ihres Wesens erklärt, seine Einschätzung über sie auf Beweise stützt und in allem seine Gelehrsamkeit zeigt. Seine Aufsicht aus dem Blickwinkel bewusster Wesen hat die Form von Führung, Frömmigkeit, Reinigung ihrer Seelen, Läuterung ihres Nefs und von Stimulierung ihrer menschlichen Feinheiten für Gott. Er ist in der Gesellschaft ein Kompass, der die Kibla anzeigt, der die Einheit der Kibla fördert und ein Lehrer, der die für Reifung offenen Geister zu menschlicher Vollkommenheit führt. Jeder, der ihn kennenlernt und in seine Atmosphäre eintritt, hat – im Rahmen seiner Fähigkeiten – den Weg zu Gott dem Wahren eingeschlagen, Ihn gefunden und erreicht. Gott ist kein Objekt, keine Substanz, keine Erscheinung und frei von Zeit, Raum, Entfernung oder Ausdehnung. Daher sind Ausdrücke wie „finden und „erreichen“ in“Bezug auf Ihn nur Metaphern. Gemeint ist, die Distanz in unserem Wesen zu Ihm, der uns am nächsten ist, zu überwinden, Seine Nähe im Herzen zu spüren und uns an diesem Gefühl zu erfreuen. Jeder, der das Animalische und Fleischliche überwindet, verspürt im Übermaß die Nähe Gottes im Herzen – entsprechend seinen Fähigkeiten. Er erfreut sich daran, Seine Weisheit erblickt zu haben und kostet in seinem Geist den Nektar Seiner Freundschaft. Zwar hört und fühlt jeder etwas, absolute Manifestation jedoch, ständige Spiegelung und vollkommene Reflexion sind dem vollkommenen Menschen vorbehalten. Er ist die vollkommene Darstellung Seiner universellen Manifestation.
Im Sterblichen den Ewigen sehen
Das ganze Sein kann durch den „vollkommenen Menschen“ die Geheimnisse des Gottseins erahnen, fühlen. Die Ehrwürdige Essenz Gottes wiederum betrachtet Ihre Widerspiegelung und Manifestation im besonderen Sinne im Spiegel des „vollkommenen Menschen“, obwohl Er in anderen glänzenden Spiegeln Seine Widerspiegelungen und Manifestationen im allgemeinen Sinne betrachtet. Der vollkommene Mensch in diesem Sinne ein Spiegel, der im Sterblichen den Ewigen zeigt – wer ihn sieht, sieht Gott, wer ihn liebt, liebt Gott, und wer ihm folgt, erlangt die Freude, Gott anzubeten. Natürlich bezieht sich dies ursprünglich und grundsätzlich auf den wahren vollkommenen Menschen, Muhammed (Friede sei mit ihm). Andere vollkommene Menschen erreichen diese Stufe in einem nachrangigen Sinn – so wie es einen Unterschied zwischen Besitzer und Eigentümer gibt. Sie sind die Erben des wahrhaft vollkommenen Menschen in Bezug auf Wissen, Gotteserkenntnis, Zuneigung, Liebe, Begeisterung und Anziehungskraft und gelten in Bezug auf ihre Gaben und Missionen sowohl als Einladende als auch als Gäste.
Da sich Gott der Wahre immer in verschiedenen Spiegeln darstellt und der vollkommene Mensch der transparenteste und klarste Spiegel ist, der die Barmherzigkeit vollständig widerspiegelt, spielt er auf Erden eine wichtige Rolle, indem er den Weg zur Erkenntnis weist. Orte und Zeiten ohne ihn sind sozusagen Waisen. Jede Örtlichkeit, und sei sie noch so klein, und jede Zeitperiode braucht den vollkommenen Menschen so wie Wasser und Luft. Da sich Gott der Wahre also nach einem detaillierten und umfassenden Plan in einem vollkommenen Menschen manifestiert – und daran besteht kein Zweifel –, ist es für die gesamte Existenz unentbehrlich, dass solche Menschen zu jeder Zeit und an jedem Ort präsent sind. Das Wesen einer solchen Person ist nämlich der Spiegel des Ehrwürdigen, die Strahlen Seines Wissens und der geheime Schlüssel zu den göttlichen Geheimnissen des Seins.
Wer ihn findet und die Atmosphäre mit ihm teilt, erhält Zugang zu vielen Geheimnissen und schillernden Lichtern, die anderen verschlossen sind, und wird selbst zu einer Quelle des Überflusses. Der vollkommene Mensch ist sich seiner Stellung immer bewusst. Er sieht sich selbst als Spiegel, als Durchgang und höchstens als Erscheinungsort. Er weiß, dass es nicht seine persönlichen Eigenschaften und Fähigkeiten sind. Im Gegenteil, er sieht es so, wie der Koran es ausdrückt: „Nicht ihr selbst (o ihr Gläubigen) habt sie (während der Schlacht) getötet, sondern Gott hat ihren Tod herbeigeführt; und als du (o Gesandter, zu Beginn der Schlacht mit Sand nach ihnen) warfst, da warst nicht du es, der warf, sondern Gott warf“ (El-Anfāl, 8:17). Diese Tatsache nimmt er in seinem Gewissen wahr und verhält sich stets im Bewusstsein, nur ein Durchgang und ein Erscheinungsort zu sein; weder verschmelzende Vereinigung (ittiḥād) noch durchdringende Immanenz (ḥulūl) – er weiß, dass alles von Ihm kommt, und zählt alles Außergewöhnliche an ihm zu den zusätzlichen göttlichen Manifestationen. Mit den Worten des Dichters Alvarlı Mehmet Lütfi:
„Ich bin dessen nicht würdig/Warum ward diese Gnade geschenkt meinem Ich?“
Wahre Existenz in der Nichtexistenz
Er verspürt immer tiefere Freude und Verantwortung in ihren verschiedenen Facetten. Eigentlich treten durchdringende Immanenz und verschmelzende Vereinigung zwischen zwei Dingen auf, die existieren. Ein vollkommener Mensch existiert aber nicht autark von Gott dem Wahren. Gott existiert aus sich selbst heraus, der Mensch steht jedoch in Seinem Lichtkörper. Die Idee, einen bedürftigen, erschaffenen Menschen derart zu erhöhen – sei es einen vollkommenen Menschen oder jemand anderen – ist nichts anderes als Abkehr vom wahren Weg.
Im Bewusstsein, dass alles von Gott kommt, handelt der vollkommene Mensch äußerst sensibel, um die Grenzen seiner Geschöpflichkeit und Dienerschaft zu wahren. Er macht kein Aufheben um seine Talente noch unterläuft ihm in seinem Dienst als Spiegel der Fehler, eine Illusion sein. In dem Maße, in dem er die Gaben in sich vollkommen widerspiegelt, fühlt und genießt er sie als Manifestation göttlicher Eigenschaften und essenzieller Freuden, als vollkommene Manifestation der göttlichen Einheit, und voller Respekt verbeugt er sich tief. Ein solcher Zustand entsteht bei einem vollkommenen Menschen, wenn er in Bezug auf sein Nefs und sein Ich aufhört zu existieren und in Bezug auf sein Herz und sein spirituelles Sein zu neuem Leben erwacht. Mit anderen Worten: Ein Mensch, der selbst nicht existiert, beginnt mit Ihm wahrhaft zu existieren. In seinem Dīwān-i Kebīr sagt Mewlānā Folgendes über diese Ehre und die Helden dieses Ranges:
„Wer in diesem Rang existiert, schien mir nichtexistent, und der Nichtexistente existent. Jenseits der Welt, sah ich Wesen, denen es schwindlig war ob Seiner Liebe, als wären sie tanzende Derwische. Alle waren makellos in Treue und Reinheit.“
Wegzeichen, Mihrab, Tür und Brücke
Der vollkommene Mensch ist im Hinblick auf Gott den Wahren ein glänzender Spiegel, für andere ein Polarstern, um den andere wie Satelliten kreisen. Einerseits dreht er sich um sich selbst, andererseits folgt er der Umlaufbahn um Ihn, dem er sich verbunden fühlt: „Und (andere) Wegzeichen, und sie (die Menschen) finden ihren Weg mit Hilfe der Sterne“ (En-Naḥl, 16:16). So gibt er der Welt Weg und Richtung vor und wirkt wie ein Wegzeichen. Tatsächlich fungiert er als Mihrab, als Tür, als Brücke. Er weist den Weg zur Wahrheit, öffnet einen Spalt, um die Wahrheit zu sehen, und führt die Menschen aus der Enge ihrer eigenen Welt in die Weite der Atmosphäre der Ewigkeit. Wenn die Menschen sie betreten, spüren sie die Brise der Freundschaft. Wenn sie zu dieser Tür gelangen, schaudern sie ob der Rufe aus der Ferne, und wenn sie diese Brücke passieren, erheben sie sich zum Horizont einer vollkommenen Gott-Diener-Beziehung mit dem Ehrwürdigen Einen und Erhabenen. Dieser Horizont reicht in seinem Gesamtplan und auf seiner Linie der Einzigkeit farbenfroh an die höchste Stufe des Himmels, den Thron Gottes, heran und – was seine Nachrangigkeit und den Kreis der Einheit betrifft – weist er die Dimension der göttlichen Feinheiten (lāṭife-i rabbāniye) auf. Der wichtigste Proviant für Reisende an diesem Horizont besteht darin, das Herz übervoll, rein und lauter zu halten und auf der Lauer zu liegen nach Manifestationen in dieser magischen Welt der Nächte, in diesen gesegneten Zeiten, in denen andere unsere Stimmung nicht verstehen können. Ibrahim Hakki fasst es in Worte:
„Das Herz ist das Haus Gottes, halt es sauberer als alles andere,
Lass den Barmherzigen des Nachts herabkommen in dein Schlösschen.“
Er empfiehlt uns die kühle und offene Atmosphäre der Nächte zu nutzen, um voranzukommen. Die folgende schöne Formulierung über den Nachtkorridor oder die Spirale, die zum geheimen Schatzhaus führt, ist von Mewlānā:
„Wenn du diesen einzigartigen Sultan willst und dich auf den Weg zu Ihm gemacht hast, solltest du nicht schlafen. Gute und glückliche Menschen schlafen im Schatten von Gottes Liebe und Barmherzigkeit. Mein Bruder, schlafe nirgendwo anders!“ Schlafen wir nicht. Verbringen wir die Nächte, die die Menschen zu tiefen und göttlichen Gedanken führen, mit Aufstehen, Verneigen, Niederwerfen oder mit wird und dhikr.
Relative Vollkommenheit
Einigen Gelehrten des Sufismus zufolge hat alles eine offensichtliche Seite; es wird ẓāhir genannt. Diese Welt in ihrer Gesamtheit, sie ist das Offensichtliche. Es gibt aber auch eine verborgene Seite, die bāṭin genannt wird. Sie besteht aus den spirituellen, jenseitigen und allen metaphysischen Welten. Dann gibt es noch einen Zwischenbereich zwischen diesen beiden Seiten, zwischen der Gesamtheit und der Welt einerseits und den Namen Gottes andererseits – der Punkt, an dem das Äußere vom Inneren getrennt wird. Und das ist die Welt des vollkommenen Menschen. Die Erkenntnis Gottes über sich selbst ist der unmittelbare Spiegel. Gott der Wahre ist in diesem Spiegel klar und deutlich in einer Bedeutung zu sehen, die unsere Vorstellungskraft übersteigt. Das Wissen des vollkommenen Menschen jedoch ist ein nachrangiger Spiegel, gewissermaßen auf Besitzerebene im Vergleich zum Eigentümer. Auch in diesem Spiegel des Wissens ist Er deutlich zu erkennen. Das ganze Kapital des vollkommenen Menschen ist jedoch im Vergleich zu all den Dingen, die Gott gehören, nur eine Gabe und dient als Beweis und Zeichen.
Die Persönlichkeit eines Menschen beruht auf den göttlichen Eigenschaften und weist daher in seiner Begrenztheit und Relativität – wie im Verhältnis von Besitz zu Eigentum – auf die Authentizität, Unendlichkeit, Originalität und Gesamtheit der göttlichen Eigenschaften hin.
Im Hinblick auf die Beziehung zu Gott dem Wahren gilt ein fähiger muntehī (der Vollendete) der den Rang eines vollkommenen Menschen erreicht hat, auch als in den Rang des vollständigen Kalifats aufgestiegen. Darüber steht der Rang des „unteren Hauses“ (ew ednā), den wir als einen Punkt zwischen dem Notwendigen und der Möglichkeit bezeichnen können. Unter all den vollkommenen Menschen, die gekommen sind und kommen werden, hat es nur einen Vertreter dieses Ranges gegeben, den ehrwürdigen Geist des Herrn der Schöpfung (Friede sei mit ihm). Nur er hat diesen herausragendsten Rang bekleidet und wurde mit der vollständigen Manifestation des ehrwürdigen Einen geehrt. Seine hohe Moral, die Ausrichtung seines Verhaltens, die Tiefe seiner Beziehung zu seinem Herrn, das Gleichgewicht in weltlichen und jenseitigen Angelegenheiten ist in seiner Beharrlichkeit und Entschlossenheit beim Durchdringen der Geheimnisse der göttlichen und existenziellen eine vorab erwiesene Zuwendung Gottes des Barmherzigen.
Daher ist die Vollkommenheit aller anderen vollkommenen Menschen nur relativ, zweitrangig und abhängig von der Unterordnung unter ihn. Das betrifft die Zeiten, in denen die Krone unserer Häupter, der Mond und die Sonne am Firmament des Prophetentums, der ehrwürdige Geist des Herrn der Schöpfung, das Licht und die Strahlen all dieser großartigen Menschen nicht da war. Mit den Worten Busayrīs: „Er ist die Sonne der Tugend, die anderen die Sterne. Sterne leuchten den Menschen nur in der Nacht.“ Er besitzt die Überlegenheit der Sonne, alle anderen sind in Bezug auf ihn wie Planeten, die ihre Umgebung erhellen, wenn er abwesend ist. Eine passende Feststellung.
Der ehrwürdige Geist des Herrn der Schöpfung (die erhabensten Grüße und Gebete seien mit ihm) war sowohl Kern als auch Frucht des Seins. Alle Abschnitte des Baums der Schöpfung, von der Wurzel bis zur Krone, standen stets mit ihm in Verbindung und entwickelten sich mit ihm zusammen. Eigentlich ist er mehr als die Frucht, er ist die Essenz, der Extrakt, der Geist des Baumes der Schöpfung. Man kann ihn (Friede sei mit ihm) auch als das grundlegendste Element des Bräu des Seins bezeichnen.
„Der erhabene Zweck der Erschaffung der Welt,
Ist diese Sonne hoch, die kam auf die Welt.“
Nicht Himmel oder Erde
Erde und Himmel sind weit davon entfernt, Spiegel der abstrakten göttlichen Wesensart zu sein, der aus den ganzen Namen des Allmächtigen Gottes besteht, da ihre Erscheinung nicht völlig geeignet ist, sie widerzuspiegeln. Aber das Auftreten des Menschen war darauf ausgelegt, sie widerzuspiegeln. Der Mensch wurde also mit einem physischen Körper geehrt, um dieses wichtige Ziel zu erreichen. Einige Menschen konnten die so wichtige Pflicht des Widerspiegelns nicht vollständig erfüllen, und das bedeutete Finsternis und Unwissenheit. Somit ist das Nichtverfallen in Unwissenheit und Finsternis auf die Sensibilität, Verantwortung und die Repräsentation zurückzuführen, die mit der Widerspiegelung verbunden sind. Mit anderen Worten: Der Mensch wird die Finsternis und Unwissenheit, die in seiner Natur liegen, mit dem Mechanismus des Gewissens überwinden, der durch die göttliche Offenbarung aktiviert wird, und Verlust in Gewinn verwandeln. Einigen ist dies gelungen: „Wir haben das Treuhandgut den Himmeln und der Erde und den Bergen angeboten, doch sie weigerten sich, es zu tragen, und schreckten davor zurück (weil sie befürchteten, die Verantwortung dafür nicht tragen zu können), der Mensch aber nahm es auf sich; er neigt wahrlich dazu, großes Unrecht zu begehen und falsch zu entscheiden und in völliger Unwissenheit zu handeln“ (El-Aḥzāb, 33:72). Da die Erde, der Himmel und alle Dinge nicht über Herz, Willen, Bewusstsein, Gefühl und andere Fähigkeiten verfügen, die wesentlich sind für das Sehen, Zeigen und Widerspiegeln der großen Wahrheit, haben sie weder die Fähigkeit zum Nachahmen noch können sie Aktivitäten zum Repräsentieren dieser höchsten Wahrheit entwickeln. Der Radius ihrer Erscheinung ist außerordentlich eng. Daher sind sie nicht in der Lage, das, was sie widerspiegeln sollen, so reich auszudrücken wie die menschliche Natur. Es war der Mensch, der zeigte, dass er in der Lage ist, diese Mission zu erfüllen, indem er seine Schöpfungsanlagen mit der Repräsentanz legislativer Anordnungen bereicherte. Wer diese Mission erfüllte, wurde frei von Unterdrückung und Unwissenheit.
Es war wahr, dass nicht jeder Mensch diese Pflicht erfüllte oder erfüllen konnte. Aber es würde einige außergewöhnliche Persönlichkeiten geben, die sich des Zwecks ihrer Schöpfung bewusst sind und auf dem Weg zum perfekten Menschen im legislativen Rahmen immer höhere Stufen erklimmen. Sie würden ihre Talente entwickeln und ihr Potenzial zur Vollkommenheit ausschöpfen, was den Glauben an Gott, Gotteserkenntnis, Liebe zu Gott, Liebe und Begeisterung, Liebreiz und Zuneigung sowie Freude an Spirituellem betrifft – die Ziele der Erschaffung des Menschen. Sie würden die Spitze der Ewigkeit klöppeln und diesen göttlichen Zweck erfüllen. Diese Sultane des Herzens haben am Knotenpunkt des Dies- und Jenseits ihren Thron errichtet – ihre Natur übertrifft diejenige gewöhnlicher Menschen. Ihre Seelen sprühen im Rahmen ihrer vergänglichen Körper – erfüllt mit der göttlichen Brise – nur so vor Lebenskraft, ihre Horizonte erfüllt mit der Brise der Freundschaft saugen sie auf dem Weg zur Vollkommenheit die Vollkommenheit in sich auf. Mit seinen für ihn üblichen zauberhaften Ausdrücken stellt Mewlānā diese Tauben des Himmels der Vollkommenheit dar:
„Die Soldaten des gerechten Pfades leben mit einer anderen Seele als dieser Seele. Vögel, die in Seiner Luft mit ihren Flügeln schlagen, haben ein anderes Nest. Sieh sie nicht mit diesem eitlen Auge an, du kannst sie nicht sehen; sie sind in einer anderen Sphäre jenseits der zwei Welten.“
Gott wird erkannt über Seine Taten und Namen; das Manifestationsfeld Seiner Namen sind das Dasein und die Ereignisse. Der Mensch hingegen ist sowohl der Kern als auch die Frucht des Daseins. Der vollkommene Mensch ist die Essenz, der Extrakt und der Geist von allem. Daher kann man Gott nicht im vollkommenen Sinne erkennen, ohne die Existenz im Sinne des Anfangs zu betrachten, ohne an den Menschen zu denken und ohne sich dem Horizont des vollkommenen Menschen zuzuwenden. Denn der vollkommene Mensch ist die universelle Sprache des Einen, Seiner Attribute, Namen und Werke. Als letztes Glied der Körperebene nimmt er den wunderbarsten Rang ein. Daher können wir sagen, dass Gott der Wahre in seiner Größe und Herrlichkeit nur von einem vollkommenen Menschen erkannt werden kann. Nur er kann Ihn sehen, hören und wahrnehmen. Andererseits kann auch der vollkommene Mensch nur durch Ihn alles sehen, wissen, festhalten und mit Ihm interagieren.
ekmel-i kummelīn
Im ursprünglichen Plan dieses Sehens, Hörens, Wahrnehmens, Bearbeitens, Initiierens und Interagierens gibt es jedoch nur einen Repräsentanten und Helden: den Repräsentanten der Wahrheit, Muhammed (Friede sei mit ihm). Seine Wahrheit basiert auf der kollektiven Wahrheit der Einzigkeit. Der Name „Gott“ bezieht sich einzig und allein auf den Herrn – in der Bedeutung eines Lehrers. Da dieser Ehrenname passenderweise und berechtigterweise alle schönen Namen Gottes und Seine Attribute einschließt, versteht es sich von selbst, dass der ehrwürdige Geist des Herrn der Schöpfung (die erhabensten Grüße und Gebete seien mit ihm) ein glänzender Spiegel der göttlichen Namen, Seiner Attribute sowie aller Angelegenheiten ist, die Gott betreffen. Daher ist es passend zu sagen: „Gott ist immer im Spiegel Muhammeds zu sehen.“ Da das von allen anderen herausragenden Persönlichkeiten nicht gesagt werden kann, ist „das […] Gottes Gnade. Er gewährt sie, wem Er will“ (El-Djumʿa, 62:4). Die Spiegel der anderen bilden das Göttliche nur relativ ab.
Jede dieser Persönlichkeiten ist die Manifestation einiger weniger Namen oder Attribute Gottes und auch ihr Anteil an den einzelnen Namen ist nicht gleich. „Die Werke Gottes reichen Segens (āthār-i feydhī) hängen ab von den Fähigkeiten des Einzelnen.“ Diese Menschen, die zu den Monden und Sonnen des Himmels der Gesandtschaft und der Gottesfreundschaft zählen, werden immer noch von ihren Begabungen und Fähigkeiten eingeschränkt, egal wie groß sie selbst auch sind. Im Vergleich zum ehrwürdigen Vollkommenen der Vollkommenen (ekmel-i kummelīn) ist der Thron ihrer Vollkommenheit endlich, durchschnittlich; sie gleichen einem Neuling – nicht in Bezug auf Pflicht und Mission, sondern den Grad der Reinheit ihrer Widerspiegelung betreffend. So wie sich die Weisen hinsichtlich ihres Glaubens, ihrer Gotteserkenntnis und ihrer Freude an Spirituellem unterscheiden, so unterscheiden sich auch immer die jeweiligen Ränge der vollkommenen Menschen in Bezug auf die Manifestationen der göttlichen Namen. Die Interpretationen und Tefsirs der Gottesfreunde, reinen Gelehrten, treuen Gläubigen und Gottesnahen, die sich auf Aspekte der Religion beziehen und die für Auslegungen offen sind (das furūʿāt), sind Beispiele für solche Unterschiede bei vollkommenen Menschen.
Bezüglich des Unterschieds zwischen den Propheten sagt der Koran: „Von diesen Gesandten haben Wir einigen (in manchem) den Vorrang über andere gegeben“ (Baqara, 2:253). Das hängt mit den unterschiedlichen Wellenlängen der Manifestationen der göttlichen Namen zusammen. Das gesamte Wissen des ehrwürdigen Adam erscheint gering im Vergleich zu dem der ehrwürdigen Abraham und Ismail. Die Macht des ehrwürdigen Christus war im Vergleich zu anderen Propheten auf einem höheren Niveau und eine Art Markenzeichen dieser erhabenen Persönlichkeit. Beim ehrwürdigen Geist des Herrn der Schöpfung (die erhabensten Grüße und Gebete seien mit ihm) handelt es sich jedoch um die maximale Manifestation der Namen und Attribute Gottes in detaillierter Form, in der die Manifestationen aller Propheten und Gesandten zusammengefasst sind.
Die Bedeutung der Gotteserkenntnis
Jeder ist in seinem Umfeld vollkommen. Diese Vollkommenheit ist proportional zu Fähigkeit und Gotteserkenntnis. Bei allen vollkommenen Menschen ist neben der Rhetorik und der Beweiskraft die Gotteserkenntnis (ʿirfān) ein wichtiger Aspekt ihrer spirituellen Tiefe und ihres geistigen Reichtums. Irgendein diesbezüglicher Mangel wiegt schwer, da es ja um Vollkommenheit geht. Der grundlegende Weg des Korans und der Sunna ist gekennzeichnet von vernünftigen Schlussfolgerungen und Logik, wozu Rhetorik und Beweis gehören. Gelehrsamkeit schließlich ist die Frucht dieses Weges.
Das Schlusswort gehört dem Dichter Niyazi:
„Es ist nicht mit fasten und beten und sündenlos leben und pilgern getan.
Was man braucht, um ein vollkommener Mensch zu sein, ist ʿirfān.“
Anmerkungen
Mutlak zikir kemâline masruftur: Unter einer bloßen Beschreibung ohne eine Bezugsperson versteht man die geeignetste Person, die mit dieser Beschreibung vollkommen übereinstimmt (Anm. d. Red.).
En-Nadjm, 53:9 (Anm. d. Red.).