Ein Glas Tee nehme ich noch gern: Briefe an die Türkei – Eine Rezension

Katharine Branning ist sichtlich beeindruckt von den zahlreichen ausführlichen Briefen, die Lady Mary aus dem Osmanischen Reich an ihre Freunde und Familie daheim schrieb. Beeinflusst von ihrem Schaffen, verfasst die Autorin von Ein Glas Tee nehme ich noch gern: Briefe an die Türkei eigene Briefe, deren imaginäre Adressatin ebendiese Lady Mary ist. So schlägt sie eine humorvolle und verheißungsvolle Brücke zwischen der Gegenwart und dem 18. Jahrhundert. Die beiden Berichte ergänzen einander hervorragend. Sie zeichnen ein sehr lebendiges Bild vom Wandel und der Entwicklung des türkischen Staates in den vergangenen 200 Jahren und beleuchten – oft mit einem Augenzwinkern – Unterschiede und Gemeinsamkeiten zwischen dem Westen und der Türkei.

Ein Glas Tee ist kein Reisehandbuch für die Türkei. Auch werden hier keine komplizierten, politischen Analysen der noch komplizierteren, türkischen Gesellschaft präsentiert. Und ebenso wenig ist dieses Buch als Biografie zu verstehen, weder von Lady Mary Montague noch von Katharine Branning. Vielmehr ist es in erster Linie ein Reisebericht mit unzähligen Erlebnissen, die der Autorin auf ihren Streifzügen durch die Türkei widerfahren sind. Diesen Erlebnissen stellt sie die Erlebnisse von Lady Mary gegenüber und entdeckt dabei verblüffende Parallelen.

Das Besondere an den beiden Persönlichkeiten ist ihre vorurteilsfreie Annäherung an das anfangs doch so fremde Land. Branning bewundert Lady Marys damals eher unkonventionelle Bereitschaft, sich den Osmanen ohne jeden Spott oder Verachtung zu öffnen, und tut es ihrer Vorgängerin gleich. Beide nehmen sie die Türkei und die Türken so, wie sie sind, beide zeigen Verständnis für ihre Eigenarten und lernen sie somit besser kennen und schätzen.

In diesem Sinne dürfen diese beiden Frauen auch als Pioniere des Dialogs und der Verständigung zwischen den Kulturen und Religionen des Ostens und des Westens betrachtet werden. Branning schaut vor allem auf die Gemeinsamkeiten. Sie trennt nicht, sondern sie bringt zusammen, und wie es sich für eine Brückenbauerin gehört, zeigt sie kein Misstrauen, sondern vertraut Land und Leuten. Die Brücken, die sie schlägt, laden auch ihre Leserinnen und Leser dazu ein, eine Welt zu betreten, die ihnen möglicherweise zunächst eher fremd erscheinen wird.

Branning gewährt uns auf feinfühlige Art und Weise Einblick in das Alltags- und Privatleben der Türken; und das mit Nuancen, die selbst so manchen gebürtigen Türken verblüffen werden. Ich bezweifle stark, dass jemals ein Außenstehender den Türken ihr Land und ihre Landsleute so gradheraus, unverfälscht und detailverliebt gezeigt hat, wie es in diesem Buch geschieht. Ob ein waschechter Türke sein Land auch nur ansatzweise so gut beschreiben könnte? Wie auch immer – Tatsache ist, dass Branning eine großartige Analyse eines ganzen Landes, seiner Bewohner und der Eigenschaften seiner Bewohner gelungen ist. Sie entlarvt Klischees und schildert Fettnäpfchen, in die jeder Reisende in der Türkei jederzeit tappen kann.

Buch Cover Ein Glas Tee

Brannings Hauptaugenmerk in Ein Glas Tee gilt in erster Linie den Schönheiten, die dieses Land und seine Menschen bereithalten. Negatives lässt sie weitgehend außer Acht. Ihr selbst ist das durchaus bewusst und sie begründet es damit, dass sie es den Journalisten und Politikwissenschaftlern überlassen möchte, die politischen und gesellschaftlichen Probleme der Türkei zu thematisieren. Jedes Land hat seine dunklen Seiten, doch da sie sich selbst als Reisende sieht, lehnt sie es ab, sich in diese inneren Angelegenheiten einzumischen, und zieht es stattdessen vor, Dinge zu beschreiben, die sie unmittelbar tangieren.

Es ist unverkennbar, dass die Autorin die Türkei wie auch die islamische Religion in ihr Herz geschlossen hat, doch entfernt sie sich dabei nicht von ihren eigenen Wurzeln. Sie bewahrt sich die Liebe zu ihrem eigenen Land und zu ihrer christlichen Religion, die durch ihre Reisen in die Türkei vielleicht sogar weiter gestärkt und gefestigt wird. Denn an vielen Orten und Plätzen stößt sie auf Zeugnisse ihres Glaubens, und oftmals wandert sie auf den Spuren der Bibel. Somit ist ihr dieses Land zwar einerseits überaus fremd, andererseits hilft es ihr aber auch dabei, zu sich selbst und zu ihren eigenen Werten zurückzufinden.

Dieses Buch liest sich wunderbar, ganz so, als würde man bei einem Glas Tee einer angenehmen Unterhaltung in harmonischer Atmosphäre lauschen. Es ist schier köstlich, die Autorin auf ihrer Wanderung durch zwei Welten und Religionen zu begleiten, sich deren Gemeinsamkeiten vor Augen zu führen und gerührt ihre Wärme zu teilen. Branning schreibt mit einer entspannten, natürlichen Liebenswürdigkeit, die häufig in reichen Bildern und großer Lebensfreude zum Ausdruck kommt. Sie weckt das Verlangen, selbst ins weite Anatolien aufzubrechen, um all die geschilderten und noch mehr unentdeckte Genüsse am eigenen Leibe zu erfahren.

Für Katharine Branning ist jedes kurze Gespräch und jedes gemeinsame Glas Tee wie ein kleines Loch, das in die dicke Wand der Intoleranz geschlagen wird. Ihr unterhaltsames und einfühlsames Buch reißt diese Wand sogar ein gutes Stück weit nieder.

Über die Autorin

Katharine BranningKATHARINE „KADRIYE“ BRANNING ist Vize-Präsidentin der French Institute Alliance Francaise (FIAF) in New York City und leitet dort die Bibliothek.

Für ihre Verdienste um die Förderung der französischen Sprache und Kultur durch den Aufbau zahlreicher Bibliotheken in Frankreich und den USA verlieh ihr der französische Staatspräsident 2006 den „Ordrenational du Mérite“, eine der höchsten Auszeichnungen des Landes. Katharine Branning ist Absolventin der Ecole du Louvre in Paris, wo sie Islamische Kunst mit dem Schwerpunkt Islamische Glaskunst studierte.

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