Auf dem Dialog bestehen
Von Hikmet Işık
Obwohl wir das Zusammentreffen von Menschen mit unterschiedlichen Gedanken und Weltanschauungen heute meist mit dem Wort Dialog ausdrücken, können auch andere Begriffe entwickelt werden, um nicht in eine Eintönigkeit und Gewohnheit zu verfallen. Das Wichtigste dabei ist, dass wir unsere guten Absichten und unsere Aufrichtigkeit in unseren Gefühlen und Gedanken präsentieren. Wir haben zum Beispiel manchmal den Begriff wohlwollende Annahme (Hoşgörü) als Synonym für Dialog verwendet. Aber einige fanden das anstößig, weil es impliziere, dass der Gesprächspartner bestimmte Einstellungen, Verhaltensweisen, Meinungen und Überzeugungen hat, die eigentlich nicht gut sind, aber doch wohlwollend angenommen werden sollen bzw. dass diese toleriert werden. Es ist so, als ob die Ansprechpartner Dornen haben, aber diese wie Rosen angesehen werden. Das kann implizit bedeuten, dass man den Ansprechpartner beschuldigt oder beleidigt. Das spielt keine Rolle, wir sollten uns nicht mit Begriffen aufhalten. Ebenso sollten wir unsere Wortwahl überdenken und versuchen, schätzenswertere und sanftere Ausdrücke zu finden.
Wir können zum Beispiel „Respekt vor dem Standpunkt“ des Ansprechpartners anstelle von „wohlwollende Annahme“ verwenden. Denn diesem Ausdruck liegt der Gedanke zugrunde, dass jeder, der eine andere Weltanschauung und Lebensphilosophie hat, Respekt verdient. Mit anderen Worten bedeutet dieser Ausdruck, die Personen, die unsere Ansprechpartner sind, aufgrund ihres Menschenseins Respekt zu zollen. Denn jeder Mensch ist potenziell eine besondere Sammlung von Werten. Es mag sein, dass manche unter ihnen nicht in der Lage waren, dieses Potenzial zu entfalten. Man darf jedoch nicht vergessen, dass auch solche Menschen göttliche Kunstwerke sind. Solche Monumente und solche Ausstattungen, wie diese Menschen sie verkörpern, sollten respektiert werden. Denn der Respekt vor dem Menschen ist in gewisser Weise auch ein Respekt vor dem Schöpfer.
Darüber hinaus können auch andere Ausdrücke wie „Brücken der Freundschaft bauen“ oder „Einigung auf den kleinsten gemeinsamen Nenner“ verwendet werden. Wichtig ist, dass die Grundprinzipien beibehalten und das ursprüngliche Fundament nicht überschritten wird. Dabei sollte man nicht in den Luxus verfallen, Pseudo-Originalität zu erfinden.
Absicherung des Wegverlaufs
Wir sollten unsere Begriffe sehr sorgfältig auswählen und die Nuancen berücksichtigen, damit wir keine ungerechtfertigten Spekulationen und Bedenken hinsichtlich unserer Tätigkeit hervorrufen, eben so, wie die Gelehrten der Religionsgrundlagen es getan haben. Die von uns verwendete Terminologie sollte niemanden stören, die eine andere Religion, Weltanschauung oder andere Gedanken als wir haben. Der Inhalt und der Rahmen unsere Tätigkeiten müssen von Anfang an richtig bestimmt werden. Zudem sollten wir diese unseren Ansprechpartnern bzw. den anderen richtig erläutern. Es ist entscheidend, zu Beginn der Arbeit die richtigen Argumente und die erforderlichen Werkzeuge zu identifizieren. Anschließend sollten wir sie bei jeder Gelegenheit immer wieder zum Ausdruck bringen. Wir sollten dieselben Wahrheiten immerzu wiederholen, sei es hinter verschlossenen Türen oder vor Menschenmengen. Dabei sollte darauf geachtet werden, dass die ausgewählten Aussagen weder naive Menschen, die sich dem Thema nähern, verwirren, noch den feindlich gesinnten Menschen einen Anlass geben, sie zu missbrauchen. Wir sollten unsere Absichten und Ziele in der Formulierung unserer Aussagen klar zu erkennen geben, einen gemeinsamen Diskurs entwickeln und diesen Diskurs überall wiederholen. Trotz allem wird es Menschen geben, die etwas an einer unmöglichen Stelle finden wollen, die die unmöglichsten Ausreden vorbringen. Wichtig ist, dass wir unsere Aufgabe erfüllen, die uns zusteht, und die Probleme mit außerordentlichem Feingefühl und Sorgfältigkeit angehen. Der Rest soll Gott überlassen werden. Wir können die Ergebnisse unserer Handlungen nicht steuern.
Selbst wenn ihr euch auf dem rechten Weg befindet; euch nichts anderes vorstellt als das Wohlgefallen Gottes; euch bemüht, den schlechten Ruf eurer Religion zu beseitigen; euch sehr gute Projekte für die Menschheit überlegt; euch dafür einsetzt, dass die Menschen nicht im Streit auseinandergehen, die doch in Frieden miteinander leben sollen: Das allein reicht nicht aus. Wichtig ist auch, die Gedanken, Gefühle und Wahrnehmungen der anderen zu berücksichtigen. Es ist eine der Kernaufgaben, uns ihnen gegenüber richtig zum Ausdruck zu bringen. Noch steht es euch zu, Klarheit zu schaffen, welchem Weg ihr folgt und welche Ziele ihr beabsichtigt, damit die Ängste und Bedenken eurer Ansprechpartner beseitigt werden.
Ebenso wichtig ist es, angemessene und überzeugende Antworten auf die Anschuldigungen und Verleumdungen zu geben, die einige Menschen aus unterschiedlichen Motiven über die gewidmeten Seelen auf dem Weg Gottes vorbringen. Wir müssen allen klarmachen, dass wir für die Menschheit arbeiten, dass wir die menschlichen Werte am Leben halten und dass wir dies als ein Gebot unseres Glaubenssystems betrachten. Wir sollten Folgendes sagen: Wir glauben fest daran, dass wir uns vor Gott verantworten müssen, wenn wir keine Atmosphäre der Liebe zwischen den Menschen schaffen. Ebenso glauben wir, dass Gott diese Welt als einen Weg zum ewigen Frieden geschaffen hat und dass das Erreichen dieses Friedens davon abhängt, dass wir unserer Verantwortung gerecht werden. Wir haben kein anderes Ziel.
Brücken des Dialoges bauen
Eines der größten Probleme unserer Zeit sind Konflikte und Polarisierung. Die Menschen sind in verschiedene Fraktionen, Gruppen und Ideologien gespalten und zersplittert. Jeder schlägt einen Weg ein, nach seinem Gutdünken. Zweifellos ist es in einem solchen Umfeld nicht einfach, die Themen in eine bestimmte Richtung zu lenken, ohne jemandem auf die Füße zu treten und zu verärgern. Unsere Aufgabe ist es jedoch, Brücken zwischen den Menschen zu bauen und ein Umfeld des Friedens zu schaffen, indem wir uns aller möglichen Mittel bedienen, gegen die wir aus religiöser Sicht nichts einzuwenden haben. Um dies zu erreichen, ist es zum Beispiel sehr wichtig, demokratische Werte zu verinnerlichen. Wir müssen die Demokratie unterstützen und die Freiheiten der Demokratie verinnerlichen und unsere eigene Farbe und Muster einbringen. Es wird jedoch immer eine kleine Menschenmenge geben, der auch das nicht gefallen wird. Aber, wie bereits erwähnt, man kann es nicht allen recht machen. Wir können nicht gleichgültig gegenüber einem solchen System bleiben, die durch das Gemeinschaftsgewissen Anerkennung und Akzeptanz gewonnen hat.
Andererseits ist der Weg, um sich korrekt ausdrücken zu können, in einen Dialog mit verschiedenen Teilen der Gesellschaft zu treten und gemeinsame Probleme der Menschheit mit ihnen zu erörtern, eine gute persönliche Bildung. Wenn ihr eure Ansprechpartner gut kennt, sich mit ihrer Gedankenwelt auseinandersetzt und sie respektiert, werden diese nützlichen Schritte im Namen der Menschheit Früchte tragen. In der Tat haben wir bis heute viele Beispiele dafür erlebt.
Ein weiterer Punkt, der in diesem Zusammenhang zu beachten ist: Wenn die Menschen, mit denen ihr im Dialog seid, Unruhe stiften und die spirituelle Vereinbarung, die getroffen wurde, brechen, solltet ihr nicht auf dieselbe Weise vorgehen. Ihr müsst geduldig sein. Der Koran unterstreicht die Tugend der Geduld mit dem folgenden Vers:
„Wenn ihr euch gegen ein Unrecht zur Wehr setzen müsst, dann setzt euch (nur) in dem Maße zur Wehr, wie euch Unrecht getan wurde; wenn ihr es jedoch geduldig hinnehmt, so ist dies wahrlich besser für die Geduldigen“ (An-Nahl 16/126).
Unsere Pflicht ist es, den Weg der Tugendhaftigkeit und Vorzüglichkeit zu wählen und nicht zur Wiedervergeltung zu greifen. Es kann sein, dass ein Tag wie der Februar Sturm[1] kommt, an einem anderen Tag ein Juni Sturm[2] und an einem weiteren Tag Juli Sturm[3]. Wir sollen auf die uns vorgeworfenen Unterstellungen antworten, Klarheit schaffen und korrigieren, aber dabei uns nicht wie Reaktanten verhalten.
Kontinuität im Dialog
Ihr solltet den Dialog mit verschiedenen Teilen der Gesellschaft fortsetzen, indem ihr diverse Anlässe schafft. Mal könnt ihr sie auf einen Tee einladen, ein anderes Mal sie besuchen. In diesem Zusammenhang solltet ihr alle Mittel und Anlässe ausschöpfen, die ihr in dieser Hinsicht habt, und alle möglichen Wege ausnutzen. Wenn sie sich von der Zusammenarbeit mit einigen Menschen gestört fühlen, sollten ihr mit Menschen weitermachen, die sie nicht stören. Oder es sollten Menschen in den Vordergrund gestellt werden, die deren Kultur und Gedankenwelt am besten kennt. Das Ansehen der Wahrheit ist von höchster Bedeutung und darf nicht geopfert werden. Es ist wichtig, ihnen klarzumachen, dass wir an einem gemeinsamen Punkt stehen und unsere Herzen gemeinsam schlagen, in dem wir uns mit ihnen über gewisse Themen auseinandersetzen. Solange ihr euch fernhaltet, könnt ihr euren Standpunkt nicht mehr zum Ausdruck bringen. Auch geraten alle schönen Erinnerungen und Kenntnisse, die sie von euch haben, in Vergessenheit. Deshalb solltet ihr auf dem Dialog bestehen und auf jeden Fall Beziehungen zu verschiedenen Teilen der Gesellschaft pflegen.
Unterschiedliche Gedanken, unterschiedliche Ansätze sollten den Dialog nicht behindern. Diese Unterschiede können sehr leicht zum Ausdruck gebracht werden, ohne den Respekt vor dem Standpunkt zu vernachlässigen und ohne den Gedanken der privilegierten Andersartigkeit zu hegen. Niemand sollte sich als dem anderen überlegen betrachten oder diesen Eindruck bei seinen Gesprächspartnern hinterlassen. Man sollte dezent sein. Bis heute wurden einige Dinge amateurhaft angegangen. Von nun an sollten die Dinge aber professioneller behandelt werden, und die Darstellung sollte im Verhältnis zur Wichtigkeit der Botschaft ernsthaft sein und mit einer prophetischen Haltung erfolgen. Die Vorgehensweisen sollten mit einer guten Sira-Philosophie überdacht werden und die Menschen, die sich mit diesem Thema befassen, sollten sehr gut ausgebildet sein. Zudem sollte die Arbeit mit Bedacht angegangen und somit die menschlichen Werte beachtet werden. Es wäre respektlos gegenüber einem so ernsthaften Anliegen, wenn es oberflächlich gehandhabt wird.
Zweifelt ihr an euren Werten?
Menschen des Glaubens sollten keine Angst vor dem Dialog haben. Sie sollten nicht befürchten, Verluste zu erleiden. Im Dialog findet gewissermaßen ein Wettlauf der Werte statt. Wenn ihr an euren Werten zweifelt, bedeutet das, dass ihr keinen starken Glauben an Gott habt. Wenn ihr sagt: „Sollten wir mit diesem und jenem zusammenkommen, werden wir von ihnen negativ beeinflusst und unsere Religion erleidet dadurch Schaden“, bedeutet das, dass ihr ein Vertrauensproblem mit der Religion habt, die ihr vertretet. Glaubt ihr hingegen, dass eure Werte auf dem Wertemarkt herausragen werden, dann sollte es ja keinen Grund geben, mit anderen nicht in Dialog zu treten. Wenn ihr daran glaubt, dass ihr durch die Handreichung die Schönheiten eurer Werte an die anderen weitergeben und zugleich von Schönheiten anderer profitieren werdet, braucht ihr euch keine Sorgen zu machen.
Wenn ihr eure Herzen für andere öffnet, werdet ihr sehen, dass sich ihre Herzen auch für euch öffnen. Kann man das als Verlust betrachten? Öffnet eure Herzen für die Welt, so weit ihr könnt! Denn wer auch immer in euer Herz eintritt, wird auch den Schönheiten dort begegnen.
Selbst wenn er sie nicht annimmt, wird er sie zumindest respektieren können. Und wenn er sie nicht respektiert, würde er aufhören, euch Schaden zuzufügen. Solches Verhalten wird Wut und Gewalt im Namen der zukünftigen Generationen brechen, Konflikte und Kämpfe beenden und die Kluft zwischen ihnen schließen. Es besteht kein Zweifel, dass dies alles sehr wichtige Errungenschaften sind. Es ist sehr wichtig, dass Menschen Hand in Hand gehen, auf einem Weg gemeinsam voranschreiten oder einen Marathon gemeinsam laufen. Denn das ist der Anfang, um die Probleme der Menschheit gemeinsam zu bewältigen. Wenn es euch gelingt, die Samen der Liebe und des Respekts in die Herzen der Menschen zu säen und die Idee des Zusammenlebens gedeihen lassen könnt, könnt ihr davon ausgehen, dass ihr Gott und den Gesandten Gottes (F.s.m.I.) zufriedengestellt habt.
Manchmal kann uns der Lebensstil, der Glaube, die Gefühle und die Gedanken der Menschen, mit denen wir in den Dialog treten, für uns abstoßend sein. Sie leben vielleicht ein Leben in Dreck. Es könnten sogar Personen sein, die unsere Werte beleidigen und uns mit ihren Worten und Taten schaden. Was uns angesichts solcher Situationen, die wir belva-i âmm, Volksunglück nennen können, retten wird, sind unsere Absichten und Ziele. Wenn wir durch unsere Beziehungen zu ihnen Schaden abwenden oder der Menschheit Nutzen bringen können, sollten wir den Dialog mit ihnen nicht aufgeben. Denn wenn sie anfangen, sich mit euch zusammenzusetzen, können sie einige Dinge besser verstehen, sie können sich ein Bild von euren Werten machen, an die ihr glaubt, indem sie durch die Lupe eurer Verhaltensweisen auf euren Glauben sehen. Selbst wenn sie diese nicht akzeptieren, werden sie zumindest eine richtige Vorstellung über euch bilden. Vorurteile und Feindseligkeiten können somit beseitigt werden. Somit werden mögliche Konflikte in der Zukunft vermieden. Und das sollte unser wichtigstes Anliegen sein.
Andererseits sollte man nicht vergessen, dass wir heute in gewisser Weise in einem Zustand des Fetret, einem geistigen Interregnum leben. Leider ist der Islam den Menschen weder richtig erklärt noch perfekt dargestellt worden. Es gibt nichts von dem, was für die Glaubwürdigkeit notwendig ist. In einem solchen Umfeld wäre es unrealistisch zu glauben, dass andere zu uns kommen, uns zuhören und „zur Vernunft kommen“ werden. Aus diesem Grund sollten wir auf jeden zugehen und versuchen, eine Beziehung zu jedem aufzubauen, ohne die Menschen nach ihrer Auffassung von Religion oder ihrer Einstellung zu uns zu kategorisieren. Wir sollten allen Menschen mit Respekt begegnen, weil sie Menschen sind. Selbst wenn es einen Makel gibt, sollten wir ihn in uns selbst sehen. Wir sollten uns selbst dafür kritisieren, dass wir uns bis heute nicht die nötige Mühe gegeben haben, uns ihnen vorzustellen, und die dafür nötigen Schritte nicht erwägt haben.
Kurzum: Unabhängig von dem, was andere sagen, die gefangen sind in ihrer Beschränktheit und Seichtheit, geht hinaus in die ganze Welt, ohne auf die Schwierigkeiten zu achten, betrachtet jeden Ort als euer eigenes Land und säet Samen. Denn der Boden ist sehr treu. Ihr werdet sehen, dass die Samen, die ihr gesät habt, eines Tages aufblühen, Sprossen bilden und fruchtbar werden. Ob ihr diese Früchte schließlich ernten könnt, ist nicht wichtig. Denn ihr werdet für eure Absichten, Auswanderung und Taten belohnt werden. Wer sie erntet, ist unwichtig.
Ihr seid dafür verantwortlich, das zu tun, was nötig ist. Sobald die Schönheiten, die ihr vollbracht habt, vollständig verstanden und anerkannt werden, wird sich das Gesicht der Welt ändern. Wenn wir früher gehandelt hätten, fünf oder sechs Millionen Menschen rund um die Welt versandt, sie geführt und ihnen Arbeitsmöglichkeiten verschaffen hätten, würde die Welt heute ganz anders aussehen.
Anmerkungen
28. Februar 1997, Militärputsch
18. Juli 1999, Verleumdungskampagne gegen den Gelehrten Fethullah Gülen
15. Juli 2016, Putschversuch