China – die Weltmacht der Zukunft?

„China! Ein schlafender Riese. Lasst ihn weiterschlafen. Wenn er erwacht, wird er die Welt erschüttern.” – diese Worte werden Napoleon (1769-1821) zugeschrieben. Gerade heute aber erwacht China – und Zehra, meine Frau, und ich nahmen die Chance wahr, als Teil einer Jugenddelegation dorthin zu reisen, Gespräche mit Vertretern aus Wirtschaft und Politik zu führen, sowie einen Einblick in Kultur und Leben zu nehmen. Die Eindrücke waren so überwältigend, dass ich einiges gerne weitergeben möchte.

Einige Zahlen

Schon heute hat China weit über eine Milliarde Einwohner, und täglich (!) werden es rund 36.000 mehr – trotz der strengen Ein-Kind-Politik der Regierung. Rund 70% der Chinesen leben noch auf dem Lande, rund 150 Millionen (!) sind Wanderarbeiter. Bis heute gibt es neben den rund 90% Han-Chinesen auch 55 anerkannte Minderheiten, darunter etwa die bu-ddhistischen Tibeter oder die islamischen Uiguren, die mit den Türken verwandt sind. Wir besuchten zuerst Shanghai, eine boomende Stadt von rund 17 Millionen Einwohnern und inzwischen rund 3000 Hochhäusern, von denen etwa 2900 allein in den letzten 10 Jahren gebaut wurden. Firmen aus aller Welt sind hier vertreten. Auf der Fahrt vom Flughafen in die Stadt sahen wir die Pfeiler der Transrapid-Strecke, die innerhalb eines Jahres (von Siemens) fertiggestellt werden soll.

Tausende von Menschen hat man zu diesem Zweck einfach umgesiedelt. Auch für andere Bauvorhaben werden oft ganze Straßenzüge oder sogar Dörfer abgerissen, etwa für die Olympischen Spiele 2008 in Beijing. Wenn sie Glück haben, erhalten die Bewohner eine Entschädigung. Chinas Wirtschaft wächst seit Jahren, seitdem es sich wirtschaftlich vom Kommunismus losgesagt hat, zwischen 5 und 10 % pro Jahr. Der damalige Parteichef von China, Deng Xiaoping, gab die Losung aus: „Es ist egal, ob eine Katze weißes oder schwarzes Fell hat – solange sie Mäuse fängt.” Eine kleine Oberschicht ist bereits jetzt sehr reich geworden, die breite Masse der Menschen lebt jedoch noch immer in großer Armut. In China existieren alle bekannten Grundstoffe – es gibt keinen Rohstoff, den das Land komplett einführen müsste, allerdings wächst sein Appetit auf Energie und Technologie enorm.

Geschichte

Von Beginn an, d.h., seit dem 2.Jahrhundert. v.Chr. unter Ch’in Shi, wurde China von Kaiserdynastien regiert. Diese lösten einander oft gewaltsam ab; in „Schwächezeiten” konnten sie zuweilen kaum noch ihre Hauptstädte regieren, dann wieder stiegen sie zu neuer Macht auf. Immer wieder drangen von Norden her die Mongolen ins Land und etablierten 1279 unter Dschingis Khans Enkel Kublai Khan eine eigene Dynastie. In dieser Zeit fanden auch die Reisen von Marco Polo und Ibn Battuta statt (siehe Fontäne 1/2002). Doch ein Bauernaufstand begründete schließlich die Ming-Dynastie, die zum Schutz vor den Mongolen das Weltwunder der chinesischen Mauer vollendete und die Hauptstadt nach Norden, nach Beijing verlegte. Bis heute ist Beijing die Hauptstadt geblieben. Im Inneren jedoch begann das Land zu stagnieren. Den Europäern, die ab dem 16. Jahrhundert nach China kamen, gelang es im Laufe der Jahrhunderte immer besser, ihre eigenen Interessen durchsetzen und das Reich mit einer Mischung aus Handel, Technologie und Gewalt zu beherrschen.

Es gab Aufstände, die blutig niedergeschlagen wurden und (ähnlich den ‚Tanzimat’ im Osmanischen Reich) zaghafte innere Reformen, die jedoch auf Dauer nicht von Erfolg gekrönt waren. Schließlich erhob sich das Volk, und unter dem Christen Sun Yat-sen wurde China kurzzeitig zur Demokratie (1911). Doch Japan nutzte das Übergangschaos, um große Landesteile grausam zu unterwerfen. Die Chinesen wehrten sich zwar, hatten aber auch interne Kämpfe zwischen Nationalisten und Kommunisten zu verkraften. Schließlich errangen die Kommunisten 1948 die Macht, während die Nationalisten nach Taiwan auswichen, das bis heute unabhängig ist. Unter Mao (1893-1976), der schließlich versuchte, mit seiner ‚Kulturrevolution’ alle Widerstände, Traditionen und Religionen zu brechen, wurde China zur Volksrepublik. Millionen Menschen bezahlten dies mit ihrem Leben. Nach Maos Tod übernahmen ‚gemäßigtere’ Kommunisten wie Deng Xiaoping die Macht und versuchten eine langsame ‚Öffnung’. Doch auch sie gingen kompromisslos gegen Regimekritiker vor. Bekannt wurde vor allem die Niederschlagung der Demokratiebewegung auf dem Platz des Himmlischen Friedens 1989.

Religion und Kultur

Die ‚Kulturrevolution’ wird heute auch von den meisten Chinesen abgelehnt, die sich für Kultur und Religion interessieren. Alte Gebäude und Gärten, angelegt nach Jahrtausende alten Prinzipien von Buddhismus und Taoismus, werden restauriert und gern besucht. Das Straßenbild ist wieder von vielen Gläubigen und insbesondere von buddhistischen Mönchen geprägt. Neben vielen Tempeln gibt es auch immer mehr Kirchen und Moscheen, denn Islam und Christentum haben inzwischen viele Millionen Anhänger, Tendenz steigend. Die erste Moschee Chinas wurde übrigens schon 742 in Sian an der Seidenstraße gebaut – gerade einmal 110 Jahre nach dem Tod des Propheten Muhammed!

Das große Problem Chinas ist natürlich auch heute noch die Armut seiner Bevölkerung.

Als wir einen chinesischen Minister zum Thema Religion befragen, antwortet er sehr ausschweifend: Ja, er wisse, dass „wir Kommunisten als Atheisten” lernen müssten, mit den Religionen zusammenzuleben. Das Thema beschäftigt ihn sehr – und nicht nur ihn. In der Vergangenheit waren es immer wieder große, religiöse Bewegungen, die den Sturz von Dynastien in China herbeiführten. Daher auch die panische Angst der Herrschenden vor der Falun Gong Sekte und die strikte Überwachung aller anderen Religionsgemeinschaften. Und: Immer weniger Menschen lassen sich noch für die Ideale des Kommunismus begeistern. Eine Reiseführerin erzählt uns, dass immer mehr junge Leute die Mitgliedschaft in der Partei einfach ablehnen, auch wenn sie damit auf Privilegien verzichten müssen.

Probleme des Landes

Das große Problem Chinas ist natürlich auch heute noch die Armut seiner Bevölkerung. Daher versucht das Land, zum einen wirtschaftlich schnell zu wachsen und zum anderen das Bevölkerungswachstum zu bremsen. Die Einschränkung, dass Familien nur noch ein Kind haben dürfen, führt jedoch dazu, dass viele Kinder und insbesondere Mädchen abgetrieben werden. Eine große Gefahr geht außerdem von der Korruption der Herrschenden aus, die durch ihr Fehlverhalten nicht nur Investitionsbereitschaft und Entwicklung hemmen, sondern auch das Volk gegen sich aufbringen. Inzwischen gibt es große Kampagnen mit vielen Hinrichtungen kleiner Funktionäre, aber die ‚großen Fische’ haben mächtige Freunde in der Partei.

Immer mehr Chinesen dürsten nach innerer und äußerer Freiheit und demokratischen Reformen. Weil diese auf sich warten lassen, kehren vor allem viele junge Leute, die im Ausland studieren, einfach nicht mehr zurück. Auch viele Tibeter und Muslime widersetzen sich der Regierung. Die Umweltverschmutzung hat inzwischen bedrohliche Ausmaße angenommen, weil Luft, Wasser und Gesundheit in den Riesenstädten zur Mangelware werden und viele Firmen giftige Stoffe einfach in die Natur kippen können. Die Verantwortlichen werden bestochen und drücken beide Augen zu. Wenn China aber seine Politik der vorsichtigen ‚Öffnung’ fortsetzt, hat es die Chance, seine Probleme in den Griff zu bekommen und eine neue Weltmacht zu werden. Ernstnehmen sollte man China schon heute.

Und wenn, wie in unserer Delegation, junge Christen und Muslime gemeinsam reisen, können sie einander besser kennen lernen. Vor dem Hintergrund einer ganz anderen fremden Kultur entdecken sie vielleicht, wie viel sie doch in Wirklichkeit verbindet. Hat nicht auch der Prophet Muhammed gelehrt, man solle falls erforderlich bis nach China gehen, um Wissen zu erwerben?

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