Wie legen wir die eligion richtig aus?

Von Hikmet Işık

Das im Zeitalter der Glückseligkeit (Asr-ı Saadet) gelebte Leben Wort für Wort, Millimeter für Millimeter in die Gegenwart zu übertragen und zu versuchen, es unverändert anzuwenden, kann sowohl Konflikte hervorrufen als auch dem Geist der Religion widersprechen. Daher ist es wichtig, die Grundphilosophie der Sunna gut zu verstehen und basierend auf den offen gelassenen Fadenenden ‌der Religion Lösungen für die Probleme von heute zu finden, die unserer Zeit und unseren Bedingungen entsprechen. Betrachtet man die Sīra unter diesem Gesichtspunkt, so lassen sich aus der Kriegs- und Friedensstrategie des Gesandten Gottes , seiner Methode der Rechtleitung und Verkündung, seinem Verständnis von Verwaltung oder seiner Praxis der Fetwa wichtige Prinzipien ableiten.

Es besteht kein Zweifel, dass wir universelle Werte haben. Sie müssen aber in Übereinstimmung mit der aktuellen Situation interpretiert werden. Das Leben, das wir heute leben wollen, mag in der Vergangenheit gelebt worden sein, sei es auch in einem anderen Format. Wenn man aber das Format von damals und heute nicht sehr gut feststellt und die Unterschiede zwischen ihnen ignoriert, wird man nicht in der Lage sein, das zu verwirklichen, was man sich wünscht. Dazu sind Änderungen mancher Vorgehensweisen und das Überdenken von vorgefertigten Lösungen nötig. Es ist jedoch keine leichte Aufgabe, unser Wertenerbe und grundlegende Disziplinen unter den gegenwärtigen Bedingungen und Umständen zu interpretieren und dabei sollte man auch nicht vergessen, dass in dieser Hinsicht große Fehler gemacht werden. Vor allem dort, wo Probleme eigeninitiativ zu lösen versucht werden und subjektive Überlegungen im Vordergrund stehen, sind Fehler an der Tagesordnung. Um Fehler zu minimieren, sollten diese Angelegenheiten zur Beratung und Diskussion an einen Ausschuss weitergeleitet werden. Denn durch den Gedankenaustausch werden Wahrheiten ans Licht gebracht.

In einer immer komplexer werdenden Welt ist es unmöglich, alles zu wissen. Daher kann unser Blickwinkel begrenzt sein und wir sind möglicherweise nicht in der Lage, Ereignisse aus einer ganzheitlichen Perspektive zu betrachten. Es kann auch vorkommen, dass uns das notwendige Wissen über bestimmte Bereiche fehlt, mit denen wir uns beschäftigen. Ferner könnten wir manchmal von unseren eigenen Wünschen, unserem Nefs, beeinflusst werden. In solchen Momenten könnten wir Schwierigkeiten haben, Ereignisse und Probleme mit der koranischen Logik zu analysieren oder Angelegenheiten anhand der unfehlbaren Kriterien der Sunna zu beurteilen. Selbst wenn etwas vernünftig erscheint und wir es als vorteilhaft (maslahat) betrachten, kann es sein, dass dies im Widerspruch zu den Lehren unserer Religion steht oder vom Islam abgelehnte Vorteilhaftigkeit (maslahat-ı merdude) ‌angesehen wird, obwohl einige Menschen dies vielleicht anders sehen. Daher besteht die Möglichkeit, dass wir Urteile fällen, die im Widerspruch zu dem Geist unserer Religion stehen.

Das kollektive Bewusstsein

Um all diese Hindernisse zu überwinden, ist es ratsam, das kollektive Bewusstsein zu aktivieren. Selbst in Angelegenheiten, von denen man denkt, sie allein bewältigen zu können, sollte man unbedingt die Meinungen anderer in Betracht ziehen. Indem man seine Entscheidungen und Gedanken durch den Filter der Beratung lenkt und die persönlichen Überlegungen mit den Perspektiven anderer abgleicht, kann man die richtige Richtung finden. Tatsächlich hat unser Prophet  gesagt, dass derjenige, der Rat einholt, weder Verlust noch Enttäuschung erfahren wird.1

Auf der anderen Seite ist es in religiösen Angelegenheiten unerlässlich, die Grenzen zu kennen und einzuhalten, wie es die Gefährten und die Selef-i Salihīn ‌(die ersten drei Generationen) taten. Selbst wenn man in für Interpretation offenen Bereichen eine persönliche Meinung vertritt und zeitgemäß interpretiert, ist es von größter Wichtigkeit, die grundlegenden Prinzipien der Religion nicht zu verletzen. Die Lösungsvorschläge für aktuelle Herausforderungen sollten niemals dazu führen, die Autorität der Gelehrten, insbesondere der Gefährten des Propheten , zu untergraben. Denn wenn man einmal die Kontrolle der Kritik verliert, ist es unklar, wo man anhalten wird. Sobald ihr anfangt, die Rolle der Gefährten zu hinterfragen, könnte es – Gott bewahre – später zu der anmaßenden Vorstellung führen, den Gesandten Gottes  lediglich als einen Postboten anzusehen. Tatsächlich könnte sich dieser Ansatz sogar auf den Koran erstrecken. Viele Menschen versuchen tatsächlich, die festen Grundsätze des Korans zu ändern, indem sie ihn als reinen historischen Text betrachten und ihn lediglich als ein Buch ansehen, das vor 14 Jahrhunderten verfasst wurde.

Fallen der zeitgemäßen Interpretation

Gewohnheiten, Luxus und Fantasien sowie Gedanken, die darauf abzielen, sich als jemand Besonderes darzustellen, können dazu führen, dass Menschen Randansichten entwickeln, die im Widerspruch zum Geist und den Grundgedanken des Korans stehen. Weitere Ursachen für diese Abweichung können darin liegen, den von der modernen Welt auferlegten Lebensstil als unveränderlich anzusehen, anzunehmen, dass es nicht möglich sei, einige Praktiken, die sich von ihren ursprünglichen Werten entfernt haben, wieder in Einklang zu bringen, oder zu glauben, dass es unmöglich sei, frühere Werte in die Gesellschaft zurückzuholen. Diese Ursachen wurzeln oft in einem Mangel an Glauben an Gottes Gnade und Gunst sowie einem geringen Vertrauen in die Werte und Wahrheiten, an die man glaubt. Dennoch haben wir das Beispiel des Gesandten Gottes , das uns hier als ausreichendes Vorbild dient. Er hat eine neue Gemeinschaft ins Leben gerufen, deren Köpfe und Herzen einer Gesellschaft während der Zeit der Dschahiliyye (Unwissenheit) geschult wurden, in der Grausamkeit und Unzivilisiertheit allgegenwärtig waren. Er hat die ungebildeten Menschen zu den Lehrmeistern der Zivilisation gemacht.

Wenn wir glauben, dass die Probleme ausschließlich durch unsere eigenen Anstrengungen und Bemühungen gelöst werden können, und wir den Weg zu einer neuen Auferstehung (ba‘su ‌ba‘de‘1-mewt) lediglich auf unsere eigene Macht und Autorität beschränken, irren wir uns gewaltig. Unsere Aufgabe besteht darin, unsere Pflicht zu erfüllen und uns nicht in das Potenzial der erziehenden Herrschaft Gottes (şe‘n-i ‌rububiyet) einzumischen. Nachdem wir unsere Aufgabe erledigt haben, sollten wir uns auf die Kraft der Wahrheit verlassen und an die zusätzliche Gnade Gottes glauben. Gott, der Allmächtige, der seine Macht durch atemberaubende Handlungen im Universum offenbart, wird unsere bescheidenen Bemühungen segnen und uns dort beistehen, wo wir Schwächen zeigen. Es ist wichtig, an die Macht des Korans zu glauben, uns auf ihn zu verlassen und seine Bestimmungen nicht zu verfälschen, während wir nach Lösungen für die Herausforderungen suchen, denen wir gegenüberstehen.

Klein ist nicht immer klein

Es ist ebenfalls von großer Bedeutung, weder Wohltaten noch Fehler und Sünden herabzusetzen oder als unbedeutend anzusehen. Gott der Barmherzige könnte uns aufgrund einer kleine Tat, wie beispielsweise das Anlächeln einer Person oder das Beseitigen von Hindernissen auf der Straße2, die Schwierigkeiten für andere verursachen könnten, vergeben, was unsere Erlösung bedeuten könnte. Ebenso könnten viele kleine Fehler, die wir vielleicht nicht ernst nehmen, unsere Erlösung gefährden. Ob eine Tat klein oder groß ist, zeigt sich an ihren Auswirkungen. Manchmal kann sogar eine kleine Abweichung von einer geraden Linie erhebliche Distanzen im Endergebnis erzeugen. Ein Beispiel hierfür ist die Fehleinschätzung der Bogenschützen während der Verteidigungsschlacht von Uhud, die viele Menschenleben kostete.

Verantwortung der Multiplikatoren

Auch können Fehlentscheidungen von Führungspersonen eine Nation in die Irre führen und unüberwindbare Probleme verursachen. Genauso können Fehler von Personen, die dazu berufen sind, die Religion zu interpretieren, zu Abweichungen führen, die schwer auszugleichen sind. Deshalb spielen die Herangehensweisen und Verhaltensweisen derjenigen, die führende Positionen innehaben und die Gesellschaft lenken, eine äußerst wichtige Rolle. Wenn sie den richtigen Weg einschlagen und gute Taten ausführen, werden diejenigen, die ihnen folgen, denselben richtigen Pfad einschlagen. Wenn jedoch Fehler begangen werden, beschränken sich diese nicht nur auf die Führungspersonen selbst, sondern können sich auf ihre Anhänger ausweiten.

Leider liegt einer der Hauptgründe für die heutigen Probleme darin, dass einige Menschen, die in der Öffentlichkeit stehen, ihren Positionen nicht gerecht werden und nicht in Einklang mit ihren Positionen handeln oder denken können. Die Veränderungen in ihrem Denken können in der Gesellschaft erhebliche geistige Verwüstungen verursachen. In diesem Sinne ist es von größter Bedeutung, dass gerade die Menschen, die an der Spitze stehen, angemessen handeln und ein positives Vorbild für die Gesellschaft sind.  

Anmerkungen

et-Taberanī, el-Mu’cemu’l-kebīr 6/365; el-Kudāī, Musnedu’s-sihāb 2/7.

Ahmed ibn Hanbel, el-Müsned 5/178; en-Nesāī, es-Sunenu’l-kubra 5/326.

error

Gefällt Ihnen der Artikel? Dann abonnieren Sie die Fontäne als Print-Ausgabe.

0

Dein Warenkorb