Der Narziss und der Teich

Die griechische Mythologie von Narcissus und die Scheinwelt, in der er lebt, zeugt vom inneren Streben des Menschen nach Freiheit und der Befreiung von den eigenen Fesseln. Um sich wirklich zu befreien, bedarf es der Loslösung von der Selbstliebe. Gelingt dies nicht, ertrinkt der Mensch in seinem selbstverschuldeten Ego.

Ovid erzählt in seinen Metamorphosen die Geschichte von Narcissus. Narcissus ist ein Jäger voller Talent, Größe, guten Genen und Charme. Aber er ist auch ein Egoist. Er ist so sehr von sich eingenommen, dass er niemanden außer sich selbst erkennen kann. Echo ist in ihn verliebt. Aber weil Nemesis Narcissus‘ Schwäche kennt, führt sie ihn ans Ufer eines Teichs und zeigt ihm sein Spiegelbild, in das er sich sofort unsterblich verliebt.
Narcissus und nach ihm der Narziss ist verliebt in das, was er im Teich sieht. Er liebt es auf Kosten der irdischen Wirklichkeit um ihn herum. In gewisser Weise ist er abhängig vom Teich, der Realität in umgekehrter Form. Das Bild, das ihm der Teich liefert, macht ihn glücklich. Narziss ist nichts ohne den Teich; er ermöglicht ihm, die Wahrheit durch ein Bild zu ersetzen.
Narcissus ist so tief in sein Spiegelbild versunken, dass er nicht zu erkennen vermag, dass das Bild nur ein Bild ist. Er spielt mit seinem eigenen Bild wie ein Baby. In seinen Augen ist das, was er im Teich sieht, wahrer als die Wahrheit. Narcissus ist in einem pathologischen Zustand.

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